Nicht die Flüchtlinge sind das Problem, sondern die Staaten

Ein Beitrag zu 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention

Menschen fliehen vor Verfolgung, Krieg, Hunger und wirtschaftlicher Not. 2020 verzeichnete der UNHCR, das UN-Flüchtlingshilfswerk, 82,4 Millionen Flüchtlinge weltweit. Die meisten davon sind IDPs, Internal Displaced Persons, also Binnenvertriebene. Und: Die allermeisten Flüchtlinge, nämlich 86 Prozent, leben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen oder in Ländern, die direkt an die Krisengebiete angrenzen. In Deutschland leben aktuell 1,2 Mio. Flüchtlinge.

Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, egal aus welchen Gründen, sind schutzbedürftig. Sie haben Rechte wie alle Menschen. Das „Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge“, wie die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) richtig heißt, wurde am 28. Juli 1951, also heute vor 70 Jahren verabschiedet, um die Rechte von Menschen auf der Flucht mit einem internationalen, völkerrechtlich verbindlichen Abkommen sicherzustellen. Deutschland ist diesem Abkommen wie die meisten Staaten der Welt beigetreten. Zusätzlich hat Deutschland in seiner Verfassung ein explizites Recht auf Asyl verankert – das leider durch zahlreiche gesetzliche Regelungen in den letzten Jahren mehr und mehr aufgeweicht wurde.  

Die Katholische Akademie Freiburg widmete diesem Ereignis, der Verabschiedung der GFK vor 70 Jahren, heute einen online-Aktionstag, zusammen mit dem Literaturhaus Freiburg, dem Theater im Marienbad, dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und dem Theater Freiburg. Die Beiträge zu dieser bemerkenswerten Tagung sind online verfügbar über www.katholische-akademie-freiburg.de.

Über die Historie, die Hintergründe und die Bedeutung der GFK möchte ich hier keine weiteren Ausführungen machen; jede/r kann sich dazu im Netz informieren, z.B. unter https://www.fluechtlingskonvention.de/ oder https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/270371/genfer-fluechtlingskonvention

Was leider sehr aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten ist und was die Tagung der Katholischen Akademie heute eindrucksvoll und bedrückend herausgestellt hat, sind die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die GFK durch die EU und ihre einzelnen Mitgliedsstaaten und durch die dafür geschaffene Agentur Frontex. Unter Anwendung von Gewalt und Inkaufnahme massiver Menschenrechtsverletzungen tut die EU alles, um Flüchtlinge von ihren Grenzen fernhalten. Ein wichtiger völkerrechtlicher Grundsatz der GFK ist das Non-Refoulement-Prinzip, das die Zurückweisung von Personen verbietet, die auf der Flucht sind und die bei ihrer Zurückweisung Verfolgung und Folter befürchten müssen. Trotzdem werden diese Zurückschiebungen (Push backs) tagtäglich an den europäischen Außengrenzen praktiziert, im Mittelmeer oder an der Grenze der Türkei zu Griechenland. Griechenland drängt gewaltsam Flüchtlingsboote zurück, die die Überfahrt von der Türkei versuchen. An der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland wurde auf Flüchtlinge, die die Grenze überqueren wollten, geschossen – zwei Flüchtlinge wurden dabei getötet. Die  Menschen, die es schaffen, in Griechenland europäischen Boden zu betreten, werden dort unter menschenunwürdigen Bedingungen in geschlossenen, gefängnisähnlichen Lagern interniert, die schwer bewacht sind und zu denen Journalisten keinen Zugang erhalten. Das alleine ist bereits ein Verstoß gegen die GFK. Die Türkei baut derzeit eine drei Meter hohe und 144 km lange Mauer an der Grenze zu Iran, um Flüchtlinge aus Afghanistan abzuwehren. An der Grenze zu Syrien gibt es bereits eine 826 km lange Mauer.

Mehr als 20.000 Menschen haben beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren und nach Europa zu kommen, seit 2014 ihr Leben verloren. Dass diese Zahlen rückläufig sind, liegt daran, dass Frontex in Zusammenarbeit mit der libyschen  Küstenwache die Flüchtlingsboote aus internationalem Hoheitsgewässer zurückschleppt und die zivile Seenotrettung wie z.B. Seawatch immer mehr behindert und kriminalisiert wird.

Die Liste der Verstöße gegen die GFK und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Diese Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die Menschenwürde werden in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen. Umso mehr ist der Katholischen Akademie für die heutige Tagung zu danken, die gezeigt hat, dass die GFK nicht auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, sondern gerade angesichts der beschämenden und illegalen Praxis der europäischen Flüchtlingspolitik mehr denn je ihre Berechtigung hat.

Zum Abschluss ein wenig Logik nach Aristoteles: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Flüchtlinge sind keine Menschen. Also ist die Würde der Flüchtlinge antastbar.