Konfrontation des Westens mit China: Wer spielt hier eigentlich mit dem Feuer?

Der Autor des folgenden Beitrags lädt uns ein, die Entwicklung in China und die sich zuspitzende Konfrontation des Westens mit China mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und unser von der westlichen Berichterstattung geprägtes Bild von China zu hinterfragen. Er bezieht sich bei seinen Ausführungen auf das gerade erschienene Buch des Wirtschaftsprofessors Wolfram Elsner „Das chinesische Jahrhundert – Die neue Nummer eins ist anders“, bringt aber auch eigene Kenntnisse und Erfahrungen aus seiner politischen Biografie ein.

Zum Verfasser: Jörg Lang, bis Ende 2019 Rechtsanwalt, hat auch Politik und Geschichte studiert, war in der Studentenbewegung engagiert, hat u.a. von 1973 bis 1982 als Redakteur in der Auswärtigen Informationsabteilung der PLO in Beirut gearbeitet. Veröffentlichungen u.a. zur RAF, zu Nahost, zu sozialrechtlichen Fragen. 

Kommentare, Kritik und Anmerkungen kann ich gerne an den Verfasser weiterleiten.

Warum nicht China, sondern die, die jetzt gegen China mobilmachen, uns bedrohen

von Jörg Lang, 25.07.2020

Die Trump-Regierung verschärft derzeit unter Vorwänden offensichtlich gezielt die Spannungen gegenüber der Volkrepublik China. Nach der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston hat US-Außerminister Mike Pompeo in einer Rede am 23.07.2020 erklärt, dass die Öffnung des Westens gegenüber China einen „Frankenstein“ geschaffen habe, der nun unsere Völker und unseren Wohlstand bedrohe. Zugleich rief er die Verbündeten der USA auf, „kreativere und energischere Schritte“ (Bild-Zeitung.de vom 24.07.2020) gegen die chinesische Regierung zu beschreiten, damit sie ihre Politik ändere: „The freedom-loving nations of the world must induce China to change … in more creative and assertive ways, because Beijing’s actions threaten our people and our prosperity“. Dies sei „the mission of our time“ (Reuters, 23.07.2020).

Das Thema „China“, die Fragen seiner Entwicklung und die sich verschärfende Auseinandersetzung über die angeblich nun von China ausgehende Bedrohung und darüber, wie sich der „freiheitsliebende“ Westen dagegen rüsten müsse, werden also aller Voraussicht nach wesentlich unser aller Zukunft bestimmen. Auch im Hinblick auf verschiedene und auch kritische Rückmeldungen und Fragen, die ich auf meine mail von Anfang Juli mit der Empfehlung des Buchs von Wolfram Elsner „Das chinesische Jahrhundert – Die neue Nummer eins ist anders“ erhalten habe, habe ich nochmals versucht, meine Kenntnisse, eigenen Erfahrungen, Überlegungen und Bewertungen zu China und zum Verhältnis des Westens zu China zu ordnen und zusammenzufassen, für mich selbst und auch für andere. Auf den kritischen Leserbrief, den ich im Zusammenhang mit deren besonders einseitigen und oberflächlichen Berichterstattung vom 08.07.2020 an unsere „unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg“, die Stuttgarter Zeitung, geschrieben hatte, habe ich bis heute kein Echo; abgedruckt wurde nichts davon.   

  1. Hegemonie über unser Bewusstsein

Ein Problem ist, dass viele auch politisch interessierte und gutwillige Menschen hierzulande nicht oder nur schwer bereit sind, sich mit China und seiner Entwicklung vorurteilsfrei auseinanderzusetzen oder gar von den dortigen Entwicklungen zu lernen. Sie verlassen sich im Wesentlichen auf die selektiven Informationen und einseitigen Bewertungen, die sie seit Jahren gleichförmig von den führenden westlichen Medien erhalten haben und noch erhalten. Die systemkonforme Manipulation des Bewusstseins der Menschen in unserem hochentwickelten kapitalistischen System (nach Gramsci die „kulturelle Hegemonie“) liegt dabei auch darin, dass viele diese objektive Manipulation – einschließlich ihrer eigenen –  entweder gar nicht mehr erkennen; oder aber konkret nicht wahrhaben wollen. Sie finden sich eher damit ab, beziehungsweise richten sich damit ein, ja identifizieren sich letztlich sogar damit; zumal dies ihnen auch erleichtert, in „unserem“ System wenigstens unseren ggf. relativ privilegierten, im Grunde ich-zentrierten Lebensstil doch noch irgendwie weiterzuleben. Mein Sohn spricht treffend von einer Gesellschaft der „Ichlinge“, in der wir leben.

Auch wenn wir, gerade auch als bürgerlich „Gebildete“, dabei von Bauchschmerzen, Ängsten und teilweise auch einem schlechtem Gewissen begleitet werden, hilft uns diese Manipulation auch dabei, unsere Situation noch als letztlich alternativlos zu verteidigen. Alternativen bestehen bzw. funktionieren ja angeblich nicht. Jedenfalls aber wären sie (siehe China) „moralisch“ (im Sinne des im Wesentlichen wieder ich-zentrierten westlichen Werte-Systems!) gesehen ja noch schlimmer.

Konsequenterweise werden danach etwa doch in Frage kommende systemische Alternativen (sprich „Sozialismus“ bzw. konkret China) in „unseren“ Medien als durchweg menschenrechtswidrige Unterdrückung beschrieben und gebrandmarkt; selbst dann noch, wenn sie (so offenbar heute in China) von der großen Mehrheit der unmittelbar Betroffenen dort gar nicht als Unterdrückung, sondern im Gegenteil als Befreiung und Fortschritt erlebt werden. Und schließlich werden nach den Gesetzen der psychologischen Kriegsführung Alternativen –  sollten sie wie offenbar in China nun auch noch funktionieren – weiter  als Bedrohung für das System, in dem wir leben, ja angeblich für uns selbst dämonisiert – mit der weiteren Konsequenz, dass man dagegen „leider“ nun doch auch aufrüsten und sich notfalls auch militärisch „verteidigen“ müsse, ggf. also (vgl. jüngst noch verhalten der NATO-Generalsekretär Stoltenberg, Welt vom 12.06.2020) bis hin ins Südchinesische Meer…

All das ist für mich die Quintessenz einer Entwicklung des noch vorherrschenden Bewusstseins und der Haltung zu China in den vergangenen Jahrzehnten, im Übrigen bezeichnenderweise gerade auch bei der politischen Führung der Grünen. 

2. Systemunterschiede

Ausgeblendet werden bei alldem ständig – obwohl dies zunehmend schwieriger wird -, die Folgen und Gesamtperspektiven des Systems, in dem wir leben –  und von dem wir, jedenfalls wenn wir zu den noch einigermaßen fitten und gut situierten Individuen zählen, doch auch immer noch  vergleichsweise gut leben können. Diese Gesamtperspektiven sind  – immer sichtbarer und offenbar eben system-notwendig – immer weiter wachsende Ungleichheit; Ausplünderung und Zerstörung der menschlichen und natürlichen Ressourcen; sinnlose und vermüllende Überproduktion bei gleichzeitigem Elend und Arbeitslosigkeit; Vereinzelung; Rassismus; Fluchtströme; Aufrüstung und Kriege; ja nun auch die Gefährdung der gesamten Menschheit und Erde. Aber ein systemnotwendig und letztlich alles entscheidend vom privatbestimmten Profitinteresse gesteuerter Kapitalismus, wie der Europas und der noch aggressivere US-basierte, kann eben all diese Probleme – jedenfalls von sich aus und allein – sprich insbesondere ohne bzw. gegen China, siehe unten – nicht mehr friedlich in den Griff bekommen, geschweige denn lösen.

Gerade das macht die Untersuchung des offenbar doch anders gepolten chinesischen Systems so aufregend und auch notwendig. Und zugleich muss nun – eigentlich ebenfalls zwangsläufig und systemnotwendig – von „unseren“ herrschenden, ihrerseits vom Privatkapital dominierten Medien – das chinesische System auf jede mögliche Art und Weise diskreditiert, ja verteufelt und als immer größere Bedrohung angeblich für uns alle porträtiert werden – bis hin zur Propagierung einer nun angeblich notwendigen Aufrüstung und Kriegführung dagegen auf allen Ebenen. Und gerade auch deshalb ist es für politisch denkende und verantwortlich handelnde Menschen heute eigentlich lebensnotwendig, sich mit möglichst vielfältigen Informationen und Überlegungen zu China und zu den anstehenden Auseinandersetzungen zu versorgen und zu beschäftigen.

Nach meiner –  insoweit marxistisch geprägten –  Auffassung geht es bei diesen Auseinandersetzungen derzeit nicht unmittelbar um eine Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus oder gar Kommunismus. Es geht vielmehr zunächst darum, ob der in China begonnene und nun immerhin seit ca. 70 Jahren von der KP China und ihren ca. 85 Millionen Mitgliedern erkämpfte Weg (mit vielen auch internen Auseinandersetzungen bis heute!), bzw. sein Zwischenziel eines „Sozialismus chinesischer Prägung“; sowie die fast unglaublichen Errungenschaften, die sie in dieser Zeit erreicht haben, gegen die jetzt wieder zunehmenden  Aggressionen und Angriffe des Westen (propagandistisch, ökonomisch, wissenschaftlich, politisch und auch militärisch) erhalten werden können; und ob sie die Chance haben, auch ihre weiter angestrebten positiven Ziele  zu entwickeln.  Diese Errungenschaften Chinas wurden und werden entsprechend den jeweiligen 5-Jahresplänen der KP Chinas offenbar nicht nur propagandistisch, sondern weitgehend auch tatsächlich Schritt für Schritt umgesetzt. Das wird nun auch in den westlichen Medien zunehmend anerkannt, wo in den vergangenen Jahrzehnten alle Erfolge zunächst immer als reine Propaganda abgetan, bzw. später dann auch als angeblicher Turbokapitalismus diffamiert worden waren. Heute nun ziehen die westlichen Medien die nicht mehr zu leugnenden Erfolge gerade zur Untermauerung ihrer These von der neuen „chinesischen Bedrohung“ heran.

3. Erstaunliche Errungenschaften

Was sind diese erstaunlichen Errungenschaften (dazu im Einzelnen auch das Buch von Wolfram Elsner „Das chinesische Jahrhundert – Die neue Nummer eins ist anders“)?

die Ausrottung des Hungers; die fast völlige Beseitigung der Armut; weitgehende Lösung der Wohnungsprobleme; schrittweise Anhebung der Einkommen;

der zunehmende Ausgleich der Entwicklung zwischen Stadt und Land; Reduzierung der Zahl der Wanderarbeiter;

der Aufbau einer phänomenalen Verkehrsstruktur, v.a. des Bahnwesens im ganzen Land;

die Beseitigung des Analphabetismus und der Aufbau eines (anders als bspw. in den USA) breitangelegten Bildungssystems;

überragende Leistungen in Wissenschaft und Zukunftstechnologien; ebenso in allen Bereichen der Kultur;

ein offensichtlich sehr flexibles und schnelles und v.a. erfolgreiches Planungssystem mit vielen dezentralen Elementen;

die Entwicklung und Förderung von Lernfähigkeit und Innovation auf allen Gebieten;

in den vergangenen Jahren auch der Ausbau des Rechtsstaats und insbesondere des Arbeitsrechts;

der Aufbau eines Gesundheitswesens für alle und einer Altersversorgung für alle;

in den letzten Jahren nun gerade auch grundlegende Reformen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes; Begrünung der Großstädte;

nach dem Buch von Elsner und den dort zitierten neuesten Quellen nun auch wieder die Reduzierung der in den vergangenen vier Jahrzehnten rapide gewachsenen Einkommens- und Vermögenunterscheide;

die massive und offenbar weitgehende erfolgreiche Bekämpfung der Korruption.

Dies alles hat China, bzw. der „Sozialismus chinesischer Prägung“, seit der Gründung der VR China 1949 und ausgehend von der Basis eines kriegszerstörten, ausgeplünderten und verelendeten Landes für ca. 1/5 der Menschheit erzielt – und das innerhalb von nur einem starken Menschenalter und im Wesentlichen ohne Krieg, ohne die Ausbeutung anderer Länder und ohne Flüchtlingsströme.

Zwar haben auch in China Partei und Staat in den letzten vier Jahrzehnten für wesentliche Bereiche der Produktion und der Dienstleistungen sowie im Versorgungs- und Konsumbereich gezielt marktwirtschaftliche Elemente gefördert und auch private bzw. gemischte Kapitalakkumulation zugelassen. Sie haben jedoch am allgemeinen öffentlichen Eigentum insbesondere an Grund und Boden sowie an der Rohstoff- und Energieversorgung ebenso wie an einem öffentlich dominierten Bankenwesen festgehalten. Und v.a. haben Partei und Staat sich die Rahmen- und Gesamtsteuerung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung offenbar nicht aus den Händen nehmen lassen. Mehr noch: diese erfolgt offensichtlich tatsächlich im Ergebnis im Gemeininteresse der Menschen in China wie auch letztlich der Menschheit insgesamt. Dies erscheint deshalb möglich, weil Investitionen zwar auch in China gewinnerzielend erfolgen, aber doch nicht auf private Gewinnmaximierung ausgerichtet sein müssen. Deshalb sind auch notwendige Umsteuerungen leichter möglich. Damit kann China die zentralen oben genannten Probleme, die der privatkapitalistisch ausgerichtete Westen nicht mehr lösen kann, vielmehr systemgesetzlich noch verschärft, offenbar seinerseits besser bewältigen. Und deshalb ist ihm auch zuzutrauen, dass es heute insbesondere auch bei der Lösung der unausweichlich nun für die gesamte Menschheit anstehenden globalen Probleme konstruktiv und entscheidend mitwirken kann. 

Zu den gravierenden Einkommens- und Vermögensunterschieden in China, die im Zuge der Anwendung einer kapitalistisch orientierten Marktwirtschaft seit Deng Xiao Ping 1979 unvermeidlich entstanden sind, nur so viel: Wir erinnern uns daran, dass schon Marx wie auch Lenin (siehe der Versuch einer Neuen Ökonomischen Politik /NEP noch in seinen letzten Jahren, die dann von Stalin beendet wurde) eigentlich die volle Entwicklung aller Produktivkräfte noch durch den Kapitalismus überhaupt als Voraussetzung für den anschließenden Aufbau eines sozialistischen System angesehen haben. Sogar Ulbricht hat 1963 in der DDR die Einführung eines ähnlichen Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) versucht, wurde dabei dann aber auch von der damaligen Sowjet-Führung gebremst.

4. Zur „Bedrohung“ durch China bzw. zur militärischen und strategischen Situation im Verhältnis zum Westen und zur Friedensfrage

Zunächst können wir die Entwicklungen in China und seine heutige Politik nicht (und dürfen wir auch nicht) ohne den Blick auf den Hintergrund der kolonialen Vergangenheit der letzten eineinhalb Jahrhunderte verstehen; der unermesslichen Ausbeutung, blutigen Unterdrückung und Verelendung des Landes und seiner Menschen durch den Westen; und der Kriege gegen China bis 1949. Daran waren neben Großbritannien, Frankreich, Japan und dann den USA sehr wohl auch Deutschland direkt (Boxer-Aufstand, Hunnenrede, dann Unterstützung des japanischen Faschismus und der Besetzung Chinas) beteiligt.

Noch im Koreakrieg haben die USA erklärtermaßen erwogen, auch gegen China breit angelegt Atomwaffen einzusetzen. Darin liegt mit der Schlüssel für Chinas Entscheidung der nuklearen Aufrüstung seinerseits.

Das angebliche Tian’anmen-Massaker gegen die „Studenten“ von 1989 (das war viele Jahre lang auch stereotyper Bestandteil der antichinesischen Propaganda „unserer“ Medien, der auch von vielen Linken übernommen wurde) hat tatsächlich offenbar so nie stattgefunden. Von der chinesischen Führung wurde es stets bestritten. Aber auch nach den zunächst geheimen damaligen Berichten des US-Botschafters in Peking nach Hause, die nun Ende 2019 nach Ablauf der Veröffentlichungssperrfrist veröffentlicht wurden, wurde der Platz lediglich bei einigen Verletzten geräumt. In Nebenstraßen gab es offenbar auch etliche Tote, aber eben auch unter den chinesischen Sicherheitskräften. Andererseits ist inzwischen klar, dass die USA mit Hilfe der westlichen Geheimdienste damals tatsächlich versucht haben, das chinesische System zu stürzen. Von einer direkten militärischen Intervention wurde dann aber abgesehen, weil der Westen, bzw. insbesondere die führenden wirtschaftlichen und politischen Kreise in den USA damals noch davon ausgingen, dass die kapitalistischen Elemente in der Wirtschaft China sowieso letztlich wieder zu einem insgesamt privatkapitalistischen Herrschaftssystem im Sinne des Westens führen würden. In diesem Sinne war damals (so berichtet auch Egon Krenz in seinem 2018 erschienenen Buch „China wie ich es sehe“) dann auch noch Gorbatschow in China, wo er aber abblitzte.

China wendet heute nach wie vor und trotz der Aufrüstung der USA gerade im Pazifik und im Bereich der Südchinesischen Inseln erheblich weniger als die Hälfte der Militärausgaben der die USA auf; pro Kopf der Menschen sind es weniger als ein Zehntel. Und es manövrieren US- Flugzeugträger im Südchinesischen Meer (wobei die Planungen nun auch in Richtung einer Beteiligung der NATO gehen!), und nicht etwa chinesische Flugzeugträger in der Karibik oder der Ostsee. China hat auch abgesehen von Tibet (das es ebenso wie Taiwan als historischen Teil seiner selbst ansieht) nirgendwo aktiv militärisch interveniert. Einen Militärstützpunkt unterhält es nach meiner Kenntnis bisher nur in Djibouti, der ebenso wie die neuen Stützpunkte entlang „Road an Belt“ eher auch für  Nachschub und zur Sicherung der Handelsflotte dient und in der Funktion nicht vergleichbar ist mit den mindestens 500 US-Militärbasen bis 1000 US- Militärstützpunkten, die sämtlich auch für die militärischen Interventionen, bzw. unmittelbaren Militärschläge der USA und ihre logistische Unterstützung einschließlich der Drohneneinsätze rund um den Globus genutzt werden.

Und nun plädiert der Westen immer direkter für die „Unabhängigkeit“ – also Loslösung – , nicht nur von Taiwan, sondern auch von Tibet; Xinjiang  und Hongkong von China.

Angesichts der zunehmenden inneren Krisen des kapitalistischen Systems; angesichts der Probleme der Menschheit; und angesichts der wachsenden Bedeutung und Macht von China und seiner durchaus konstruktiven Entwicklung sind eigentlich eine friedliche Koexistenz, bzw.  auch die konstruktive Kooperation mit dem kommunistisch geführten China das Gebot der Stunde.

Eine Fraktion von Politikern „des Westens“ (siehe die Rede von US-Außenminister Pompeo vom 23.07.2020) und auch in Deutschland fordern aber statt dessen immer drängender eine schärfere Politik gegen China, ja  einen „Systemwechsel“ in China; konkret bspw. die Unterstützung der „demokratischen Kräfte in Hongkong“; sowie letztlich eine verstärkte Aufrüstung Europas. So macht etwa auch die Stuttgarter Zeitung vom 8. Juli 2020 mit der Schlagzeile auf “Neue China-Politik von Merkel gefordert“ und lässt dazu den „Unionsaußenpolitiker“ Roderich Kiesewetter zu Wort kommen, der u.a. für eine „größere Lastenteilung“ mit den USA plädiert. Daneben wird als Unterstützer einer „härteren Chinapolitik“ Nils Schmid als „außenpolitischen Sprecher“ der SPD zitiert: China sei ein „Systemkonkurrent“… und – etwas wirr – „Merkel will das Ruder aber bislang nicht umwerfen, sie ist gefangen in diesem alten Chinabild. Das müssen wir ändern“. Und schließlich wird auch der Grünen-Europaabgeordnete Büttighofer bemüht, der von China, „das die Wende zum Totalitarismus und zu einer zunehmend anmaßenden Außenpolitik vollzieht“, als einem „systemischen Rivalen“ spricht.

Im Klartext meint eine solche „härtere“ Politik gegen China im Rahmen einer Systemkonkurrenz bzw. -Rivalität also nicht einen friedlichen Wettbewerb, bzw. eine Kooperation mit China zwischen verschiedenen Systemen, sondern zielt eben auf einen Systemwechsel in China ab.    

Der Versuch eines solchen unverhüllt und offensichtlich im Schlepptau der verschärften China-Politik der US-Regierung propagierten Systemwechsels für China ist ebenso verantwortungslos wie gefährlich. Er würde zunächst mit einer massiven Ausweitung von Sanktionen gegen China verbunden sein, ebenso mit einer nochmals verstärkten Aufrüstung. Beides würde in Europa die Abhängigkeit von den USA nicht vermindern, sondern verstärken, was offenbar ebenfalls das Ziel der gegenwärtigen US-Konfrontationspolitik ist. Einen tatsächlichen Systemwechsel in China auf diese Weise durchzusetzen, erscheint obendrein illusionär. Der Preis wären mutmaßlich allerdings weltweit Destabilisierung, neue Kriege, möglicher Weise nicht nur Handelskriege, in jedem Fall aber weiteres weltweites Elend und Chaos – ganz abgesehen von der Vernichtung der Errungenschaften Chinas.  

Solange der Westen wie derzeit in dieser Weise politisch, mit Sanktionen und militärisch aufrüstet, erscheint es nicht realistisch und auch nicht wünschenswert, von China oder auch von Russland zu fordern, einseitig konventionell bzw. nuklear abzurüsten. Die Auflösung des INF-Vertrags mit Russland durch die Trump-Regierung bewirkt in diesem Zusammenhang nur eine zusätzliche Drohung und Destabilisierung. Maßgebliche Kreise in den USA versuchen dabei auch, nun – neben Europa – auch Russland in eine neue auch militärstrategische Allianz gegen China einzubeziehen bzw. zu zwingen.

Die ökonomische Funktion von Rüstung. Ökonomisch gesehen dient im westlichen neoliberalen und an der privaten Profitmaximierung ausgerichteten Kapitalismus Aufrüstung – neben Herrschaftssicherung im Innern und wenn möglich direkten Eroberungen nach außen – auch der Erzielung von staatlich garantierten privaten Extra-Profiten, und weiter der (durchaus einkalkulierten) regelmäßigen Vernichtung von Material einer an sich sinnlosen Überproduktion. Hinzu kommt (so die propagandistische Verbrämung) noch die angebliche Notwendigkeit, durch Rüstung Arbeitsplätze zu schaffen, bzw. zu erhalten. Im chinesischen System ist dies keineswegs so. Investitionen dort werden gezielt vorgenommen und ggf. auch kurzfristig umgesteuert, und zwar in neue bzw. gesellschaftlich sinnvolle Bereiche (siehe oben). Dabei werden ebenso gezielt auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Hierbei reichen auch niedrige aber nachhaltige Gewinne aus. Chinas Steuerungssystem ist an sich nicht auf Aufrüstung angewiesen.

Friedensfrage. Der Kampf um den Frieden in der Welt ist heute eine, wenn nicht die Hauptfrage für die Menschheit und ihr Überleben. Die Friedensfrage kann aber – und dies war ja schon die Erfahrung aus dem Kampf gegen den Faschismus und den deutschen NS-Imperialismus und seinen Welteroberungskrieg – , letztlich nicht bewältigt werden, wenn nicht auch die dahinter stehende Systemfrage (Gesamtsteuerung der ökonomischen Produktion und der gesellschaftlichen Entwicklung nach dem Gesetz der privatem Gewinnmaximierung oder aber im Interesse der Menschen und der Gemeinschaft) und damit auch eben die entsprechende Machtfrage behandelt und entschieden werden.

Auch das wird in den kommenden Jahren für uns alle entscheidend sein. Und insoweit sind die chinesische Entwicklung und unser Verhältnis zu China eben auch entscheidend für den Erhalt des Friedens.

Wie die Entwicklung Chinas in Zukunft weitergeht, und wie sie dann zu bewerten sein wird, kann niemand sicher sagen. Diese Frage kann schon gar nicht von Politikern des Westens beantwortet und entschieden werden, auch nicht von seinen „fortschrittlichen“, bzw. „linksliberalen“ Intellektuellen und Besserwissern, die bisher nicht die Macht aufgebracht haben, hier bzw. für die Welt Entscheidendes im Sinne der in China festzustellenden Errungenschaften tatsächlich auf die Beine zu bringen.

5. Noch zu den Menschenrechten

Die vielfache Kritik an der Achtung der Menschenrechte in China kann ich eigentlich nur noch hinsichtlich der Todesstrafe teilen. Außerdem habe ich Fragen und Bedenken insbesondere zu dem neuen chinesischen Sozialkreditbewertungs- und Steuerungssystem, zu den damit verbundenen Datensammlungen und zur Kontrolle der damit verbundenen Machtausübung bzw. ihres Missbrauchs.

Jedenfalls kann man die Verwirklichung von Menschenrechten nicht allein nach unserem bzw. dem westlichen Menschenrechtsverständnis beurteilen. Dieses orientiert sich wesentlich an der gehobenen – inzwischen auch „grün“-alternativen – Individualität des privilegierten einzelnen Menschen, jedoch eben auf dem Boden unserer kapitalistischen Konsumgesellschaft (deren Wohlstand auf dem Elend der Menschheit allgemein lastet).

Zu einzelnen Punkten zur Achtung der Menschenrechte (nur beispielhaft):

Tian’anmen-Massaker. Die stereotypen Berichte über das angebliche Tian’anmen-Massaker gegen die „Studenten“ von 1989 haben sich inzwischen als Propagandamittel in der psychologischen Kriegsführung herausgestellt, flankierend zum damaligen auch vom Westen unterstützten Umsturzversuch in China, und parallel zum regime-change von Gorbatschow zu Jelzin und der Auflösung der Sowjetunion. Nur hat es in China nicht geklappt.

Die Unterdrückung der Uiguren. Die Berichte über Straf- und Folterlager, in denen – so die letzten Meldungen – Menschen angeblich nun auch noch gezwungen werden, Schutzmasken gegen den Corvid-19 Virus zu produzieren, gehen im Wesentlichen auf wenige US-basierte Organisationen und auf bei näherem Studium eher zweifelhafte Einzel-Zeugnisse zurück. China bestreitet die Existenz solcher Lager. Dass in Xinjiang bis vor ca. fünf  Jahren die mit Al- Qaida und den Taliban verbündete separatistische Organisation Islamisches Ost-Turkestan (ETIM) brutalste Massaker begangen hat, wird in der Regel verschwiegen. Im Westen sitzen deren Angehörige als Terroristen u.a. in Guantanamo. Operieren sie aber in China, werden sie als Freiheitshelden verherrlicht und ihre Verfolgung als Unterdrückung der Menschenrechte apostrophiert. Auch hier geht es dem Westen jedenfalls auch um die Schwächung der chinesischen Regierung und (wie in Tibet) wenn möglich um die Abspaltung von historisch chinesischen Gebieten. Die offensichtlichen Fortschritte in Xinjiang in den vergangenen Jahren und ebenso in Tibet (Aufbau der Infrastruktur, Verbesserung der Wohnungssituation und des Bildungssystems, erfolgreiche Geburtenkontrolle, Beseitigung der Armut, nicht zuletzt auch Beendigung des Terrors) werden in „unseren“ Medien nicht erörtert.

Hongkong. Es gibt dort offenbar eine Fülle von sozialen und wirtschaftlichen Problemen, eine wachsende Arbeitslosigkeit und auch Proteste – aber gerade auch wegen der Folgen des bisher besonders schrankenlosen postkolonialen westlichen Kapitalismus in Hongkong.  Die derzeitigen Berichte in den westlichen Medien über die angebliche Unterdrückung der Opposition durch China stützen sich ebenfalls immer wieder auf eine Handvoll sogenannter pro-demokratische Aktivisten, vorne weg bspw. jener Joshua Wong. Der wurde beispielhaft als “Freiheitsheld“ und „Hongkong-Held“ auf dem „Bildfest100“ der Bild-Zeitung im Dachgarten-Restaurant des Bundestags gefeiert, wohin er auch auf Kosten der Bild-Zeitung eingeladen worden war (und dazu aus Hongkong ausreisen durfte!), und wo er dann auch mit Außenminister Maas zusammengebracht wurde. Es lohnt sich, dazu im Internet die lesenswerte Ausgabe von Bild.de vom 10.09.2019 aufzurufen. Inzwischen hat sich (laut Internet) Wong Anfang Juli 2020 allerdings von Äußerungen in angeblichen neuen Interviews mit der Bild-Zeitung distanziert. Sofern man den früher veröffentlichten Interviews mit diesem „pro- demokratische Aktivisten“ Glauben schenken darf, hat Wong jedenfalls immer wieder auch schwer gewalttätige Demonstrationen und Attacken auf Polizeikräfte (die in Deutschland keinen Tag geduldet worden wären) in Hongkong gerechtfertigt; und er ist u.a. offen für eine Loslösung von Hongkong von China eingetreten – entgegen auch aller völkerrechtlichen Abmachungen Chinas u.a. mit der früheren Kolonialmacht Großbritannien. Eigentlich kann man sich nur wundern, wie lange die Volksrepublik China bis zum Erlass dieses Sicherheitsgesetzes (das im Einzelnen und genau besehen keineswegs außergewöhnlich ist!) diesem Treiben zugeschaut hat.

Es ist gerade bei Hongkong offenkundig, dass die Kreise, v.a. in den USA aber auch in Deutschland, die eine neue Konfrontation mit dem Systemgegner China betreiben, derzeit versuchen, auch die Öffentlichkeit in Europa und speziell in Deutschland für einen neuen Kalten Krieg und für neue Sanktionen (zugleich im Interesse des US-Kapitals) zu mobilisieren.

Ganz aktuell: Corona und die Menschrechte. In den USA beispielsweise sind bisher aktuell in absoluten Zahlen ca. 30-mal mehr Menschen als in China der Corana-Pandemie zum Opfer gefallen, bzw. man hat sie ihr zum Opfer fallen lassen. Bezogen auf die Bevölkerungszahl sind es ein Vielfaches mehr. Dem Westen sollten allein deshalb seine Menschenrechtskampagnen gegen China erst einmal im Hals stecken bleiben.     

All die genannten Komplexe und Fragen behandelt das Buch von Wolfram Elsner „Das chinesische Jahrhundert“ mit großem persönlichen und teilweise fast enthusiastischem Engagement, jedenfalls aber belegt mit zahlreichen Detailinformationen.

Es lohnt sich im Übrigen auch, gelegentlich die im internet verfügbaren chinesischen Nachrichten-Agenturen: german.xihuanet.com bzw. german.china.org.cn zu klicken, auch wenn uns der Stil bzw. v.a. der spezifische Personenkult um Xi erst mal fremd sind.


Jugend an die Waffen?

Neuer Freiwilligendienst für die Bundeswehr

Unter dem Motto „Dein Jahr für Deutschland“ will Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer einen neuen Freiwilligendienst einführen. Damit sollen zunächst 1.000 Männer und Frauen „für den Heimatschutz“ gewonnen werden. Wer 17 Jahre alt ist, kann sich bewerben.

Quelle: Bundesverteidigungsministerium

Ach Annegret! Komm, geh fort! möchte man mit Gerd Dudenhöffer in ihren Twitteraccount seufzen. Für ihren Namen, die größte phonetische Zumutung seit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in einem bundesdeutschen Ministeramt, kann sie ja nichts. Und ihre saarländisch-trierisch gefärbte Sprachmelodie verleiht ihren Statements jenseits aller Inhalte eine besondere Note („Von Zeit zu Zeit hör ich die Alte gern…“).

Aber ein glückliches Händchen kann man AKK nicht bescheinigen. CDU-Vorsitzende darf sie nicht bleiben, Kanzlerin kann sie nicht mehr werden, und ihre Versuche, Bundeswehr und Verteidigungsministerium von Misswirtschaft, Rechtsradikalismus und Beratermauscheleien zu entrümpeln, bleiben Stückwerk. Warum, oh heiliges Kanonenrohr, jetzt dieses bemühte Heimatschutz-Freiwilligen-Dein-Jahr-für-Deutschland-Trallala? Als wenn es nicht genügend Angebote für junge Menschen gäbe, sich für diese Gesellschaft zu engagieren. Die Verteidigungsministerin ist auf dem besten Wege, dem Verkehrsminister Andreas Scheuer, bisher unangefochtener Spitzenreiter in Sachen Pleiten, Pech und Peinlichkeiten, den Rang ablaufen.

Siehe dazu auch auf diesem Blog: „Atomwaffen: Wirksamer Schutz oder zunehmende Bedrohung“ vom 8. Mai 2020


Phallussieg für die AfD: Keine Quotenregelung in Thüringen

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat heute das sogenannte Paritätsgesetz des Landes Thüringen für verfassungswidrig erklärt. Mit dem Gesetz wollte das Land erreichen, dass Frauen und Männern die gleiche Zahl von Listenplätzen bei einer Landtagswahl bekommen. Dagegen hatte die AfD geklagt. Von den neun Verfassungsrichtern waren allerdings drei, darunter die beiden weiblichen Mitglieder des Gerichts, anderer Meinung.

Wie gut, dass es die AfD gibt, sonst wäre es um die Demokratie in Deutschland schlecht bestellt. Björn Höcke, bekennender Rechtsradikaler, hat sich über das Urteil gefreut und es als «Sieg für die Demokratie und den Verfassungsstaat» bezeichnet. Ein wahrer Phallussieg, sozusagen. Noch mehr von der Sorte Alice Weidel möchte man dieser Partei auch nicht wirklich an den Hals wünschen.


Aufruf an die Tornado-Piloten am Atombombenstandort Büchel

Am 8. Mai wurde auf diesem Blog ein Beitrag veröffentlicht unter dem Titel „Atomwaffen: Wirksamer Schutz oder zunehmende Bedrohung“? Nun haben zahlreiche Organisationen der Friedensbewegung und Einzelpersonen einen Aufruf an die Tornado-Piloten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 am Atombombenstandort Büchel zur Verweigerung der Mitwirkung an der nuklearen Teilhabe veröffentlicht.

Der Appell, der u.a. in der Rhein-Zeitung am 20. Juni als Anzeige veröffentlicht ist und vorab an den Kommandeur des Geschwaders geschickt wurde, steht im Kontext der aktuellen Debatte um die Beschaffung neuer nuklearfähiger Kampfjets und ist von 127 Personen und 18 Organisationen unterzeichnet. Der Appell fordert zugleich von Politikerinnen und Politikern, Bürgerinnen und Bürgern, sich für die Abschaffung der Atombomben und die Unterzeichnung des neuen UN-Atomwaffenverbotsvertrages einzusetzen.