Das weiche Wasser bricht den Stein? Kritik des reinen Pazifismus*

(*In Anlehnung an Kants „Kritik der reinen Vernunft“ soll in diesem Beitrag „Kritik“ nicht als negative Wertung verstanden werden, sondern im Sinne von „prüfen“ oder „untersuchen“. Einen „reinen“ Pazifismus, verstanden wiederum analog zu Kants Begriff der „reinen“ Vernunft, der also ohne Zuhilfenahme von Erfahrung auskommt, gibt es wohl nicht. Was für die Vernunft angehen mag (wenngleich auch da schon schwer zu verstehen, aber wer versteht schon Kant), ist für die Diskussion um den Pazifismus wenig hilfreich.)

Der Pazifismus ist unter schwerem Beschuss. Allein die Verwendung dieser Metapher verbietet sich fast angesichts des Ukrainekrieges. Wer die aktuell vorherrschende Kriegsrhetorik und den Ruf nach mehr Waffen in Politik und Medien mit einem Fragezeichen versieht, muss mit heftigem Widerspruch rechnen. Kritik am Pazifismus, gar üble Beschimpfungen, gibt es gegenwärtig von vielen Seiten. Und viele, von denen man es nicht erwartet hätte, rufen nach mehr Rüstung, nach schweren Waffen. Leider verstellt die aktuelle, durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine neu entfachte Debatte um den Pazifismus, um „Frieden schaffen ohne Waffen“, um Ostermärsche und zivile gewaltfreie Verteidigung usw. den nüchternen Blick auf die jeweils vertretene Position und deren Stärken und Schwächen. Pazifisten, Ostermarschierer oder Verfechter eines gewaltfreien Widerstands sind mittlerweile zur Zielscheibe massiver Verunglimpfungen geworden.

So geschehen zum Beispiel in der ZDF-Satiresendung „Heute Show“ am 22. April (ab Min. 13), wo der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin, dessen Verdienste um die Aufdeckung krimineller Machenschaften der deutschen Rüstungsindustrie unbestritten sind, mit seinen Äußerungen zur zivilen Verteidigung lächerlich gemacht wurde.  

Vertreter*innen der Friedensbewegung und Teilnehmer*innen an den diesjährigen Ostermärschen wurden und werden bestenfalls als naive, realitätsferne und romantische Spinner diffamiert, die angesichts der Gräueltaten im Ukrainekrieg immer noch davon träumen, die russischen Truppen mit Blumensträußen aufhalten und mit vertauschten Straßenschildern verwirren zu können. Robert Habeck kritisierte die Ostermarschierer und bezeichnete den Pazifismus als einen „fernen Traum“. Alexander Graf Lambsdorff von der FDP verstieg sich gar zu der Feststellung, die Ostermarschierer seien die „fünfte Kolonne“ des Kremlchefs und würden das Vorgehen Moskaus mit ihren Aufrufen relativieren („Darf man noch auf Ostermärsche gehen? NEIN, findet Alexander Graf Lambsdorff: Wer diese Demos besucht, spuckt den Ukrainern ins Gesicht. ZEIT Nr. 16 vom 13.04.2022, Seite 10 https://www.zeit.de/2022/16/frieden-demonstration-ostermarsch-ukraine-debatte/seite-2).

Besonders unangenehm hervorgetan hat sich Sascha Lobo (der mit der Irokesenfrisur – „kulturelle Aneignung“?) in einer polemischen Kolumne im Spiegel vom 20. April unter der Überschrift „Der deutsche Lumpen-Pazifismus“. Als Reaktion auf ein Interview mit der Friedensforscherin und Konfliktexpertin Véronique Dudouet von der Berliner Berghof Foundation Ziviler Widerstand ist effektiver“ in der TAZ vom 19.04.22 meint Lobo, man müsse angesichts der zerbombten Städte und der Leichen in den Straßen Befürworter des passiven Widerstandes „nicht einmal mehr argumentativ widerlegen“.

Für Lobo ist Mahatma Gandhi eine „sagenhafte Knalltüte“. Dass Lobo noch zwischen einem „aufgeklärten, realistischen Pazifismus“ und dem „Lumpen-Pazifismus“ unterscheidet, macht es nicht besser. Letzterem bescheinigt er eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt.“ Wahrscheinlich hat er seinen Max Weber gelesen und mal was vom Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gehört und meint nun, den Ostermarschierern viel gute Gesinnung, aber null Verantwortung unterstellen zu müssen.

Darf man, ja muss man nicht im Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Empörung über Russlands Angriffskrieg und die damit einhergehenden Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung historische Vergleiche ziehen und von ähnlichen, in ihren Auswirkungen sogar schlimmeren „Militäroperationen“ des Westens gegen Vietnam, Irak, Ex-Jugoslawien sprechen, oder ist das als „Whataboutism“ abzutun?

Dazu ein aufschlussreiches Interview mit Arvid Bell in ZEIT online: …die Erkenntnis der Friedensforschung, dass mehr Waffen nicht zu Frieden führen, sondern zu mehr Gewalt, Wettrüsten und Instabilität, die ist ja nicht hinfällig durch diesen Krieg. Andererseits verstehe ich, dass man in diesem Fall, wo die Ukraine das Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist, vielleicht eine Ausnahme machen will.“ Und weiter meint er: „Die Grünen sind die vehementesten Verfechter einer militärischen Aufrüstung der Ukraine, am deutlichsten für Waffenlieferungen. … Aber sie paart sich jetzt auf ungesunde Art mit einer neuen Bereitschaft zur Militarisierung….  haben Sie die Ukraine-Debatten in der UN-Generalversammlung und im UN-Sicherheitsrat verfolgt? Das war sehr aufschlussreich. Manche westliche Außenminister sind dort sehr empört und moralisch aufgetreten, haben über sterbende Kinder gesprochen, über Bombenhagel und so weiter. Das kommt nun mal in vielen Teilen der Welt schlecht an, wo teilweise über Jahrzehnte westliche Bomben gefallen sind und Kinder getötet haben. Die USA haben den Irak 20 Jahre bombardiert. 

Zu viele Länder in der Welt wissen genau, wie brutal westlicher Imperialismus und Kolonialismus war. Ich komme gerade aus Vietnam, da haben die USA Hunderttausende Menschen umgebracht, Folter unterstützt, und Agent Orange gesprüht. 

… Was ist mit den irakischen Kindern, die im Bombenhagel gestorben sind? Was ist mit den afghanischen Hochzeitsgesellschaften, die weggebombt wurden? Wo ist eure Empörung, wenn ihr selber die Bomben werft? 

Wie hilfreich ist es, dass große Teile der eigenen Bevölkerung gegen Russland moralisch so aufgepeitscht sind, wenn es doch mittelfristig eine Sicherheitsordnung in Europa nur mit Russland geben kann?“

Ähnlich argumentiert Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und ehemaliger militärpolitischer Berater von Altkanzlerin Angela Merkel, indem er auf vergleichbare Kriege jüngeren Datums hinweist: „Irak, Syrien, Libyien, Afghanistan – so neu ist das alles nicht“. Auch Vad konstatiert nüchtern: „Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen“ (u.a. im Handelsblatt vom 12.04.2022).

Genau das haben wir in unserem öffentlichen Aufruf in der Badischen Zeitung vom 18.03.2022 „Frieden ist möglich. Europa braucht eine neuen Sicherheitsarchitektur“ gefordert:

„Unabhängig vom Ausgang dieses schrecklichen und sinnlosen Krieges muss darüber nachgedacht werden, wie danach eine Friedensordnung in Europa aussehen kann. Eine Ordnung, die den Sicherheitsinteressen aller Beteiligten Rechnung trägt. Egal, wie man zu den Bedrohungsängsten Russlands stehen mag, ob man sie für begründet oder bloß für vorgeschoben hält: Eine neue Sicherheitsarchitektur, ausgehandelt zwischen Russland, den USA, der NATO und Europa und basierend auf neuen vertrauensbildenden Maßnahmen, ist vonnöten. Wechselseitige Aufrüstung und Ausbau des atomaren Bedrohungspotenzials sind keine Lösung.“

So richtig das alles sein mag – am Ende bleiben offene Fragen wie:

  • Reden ist besser als schießen: Was aber, wenn eine Seite lieber schießt als redet? Können Verhandlungen mit friedlichen Mitteln erzwungen werden? Braucht es nicht militärisches Drohpotenzial, um den Gegner an den Verhandlungstisch zu zwingen?
  • Das Recht zur Verteidigung gegen Aggression und Gewalt, individuell und kollektiv, ist legitim. Auch mit Gewalt?
  • Lässt sich eine Gewaltspirale wie jetzt im Ukrainekrieg mit Mitteln des zivilen Widerstands stoppen?
  • Wie kann wechselseitiges Vertrauen hergestellt werden – als Grundlage für den Verzicht auf militärische Gewalt – wenn das praktische Handeln des Gegenübers (z.B. NATO-Osterweiterung, Verletzung der territorialen Souveränität der Ukraine durch Russland) Misstrauen schürt?
  • Frieden schaffen ohne Waffen: Ist das eine reale Möglichkeit oder ein „ferner Traum“ (Habeck)?

Ich weiß die Antworten nicht.



Geheimtipp: Urlaub in Ruanda für umme!

„Ruanda gehört zu den eher unbekannten aber auch zu den atemberaubend schönen Reisezielen auf dem afrikanischen Kontinent. Aufgrund seiner Höhenlage zwischen 1.000 und 4.500 Metern Höhe wird Ruanda auch „das Land der tausend Hügel“ genannt. Für alle Afrika-Fans sowie Natur- und Tierliebhaber ist Ruanda mit seinen berühmten Berggorillas ein traumhaftes Reiseziel. Safaris, Wanderungen und Trekkingtouren durch tropischen Regenwald, atemberaubende Nationalparks sowie Vulkan-Gebiete versprechen Abenteuer und unvergessliche Impressionen. Hinzu kommt eine spannende Kultur, und nicht zu vergessen, die herzliche Gastfreundschaft der afrikanischen Völker.“ (zit. nach Tourismus.de/Ruanda)

Und was das Tollste ist: Den Urlaub in Ruanda gibt es kompletamente kostenlos! Und so geht es: Nach England reisen, am besten mit dem Boot über den Ärmelkanal und drüben bei Boris Johnson Asyl beantragen. Der britische Premier hat versprochen, alle Asylbewerber nach Ruanda zu verfrachten. Ruanda, so Johnson, gelte als eines der sichersten Länder der Welt und sei bekannt dafür, Einwanderer „willkommen zu heißen und zu integrieren“. Also nix wie hin! Gut, die Unterbringung wird statt im Luxusressort in einem Internierungslager sein, aber dafür ist das Wetter dort besser als in Großbritannien! Pro Asyl empfiehlt allen Flüchtlingen in England den Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung für den Fall, dass der Ruanda-Urlaub nicht den erhofften Spaßfaktor bringt.


Über den Urknall, die menschliche Dummheit und die Relativitätstheorie

Man findet sich nicht mehr zurecht. Die Nachrichtenlage wird immer verwirrender und unübersichtlicher, vom Ukrainekrieg ganz zu schweigen. Wem soll man noch glauben? Berlusconi und der Ex-Papst Ratzinger behaupten, dass sie niemals an einer „Bunga-Bunga-Party“ teilgenommen haben. Mit der Pipeline Nordstream II wird die längste Unterwasserrodelbahn der Welt eingeweiht. Eliza und Amelia Spencer, die Nichten von Prinzessin Diana, shoppen direkt vom Laufsteg. Rummenigge adelt Beckenbauer als wichtigste Person der Geschichte (also der des FC Bayern). Die MPK fährt zweigleisig. Der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha´apai war eine phreatomagmatische Eruption. Und gegen Schluckauf soll auch Geschlechtsverkehr helfen.

Es gibt sie also noch, die guten Nachrichten. So auch diese: Das James-Webb Space Telescope (JWST) konnte erfolgreich ins All gestartet werden, ist schon voll entfaltet und muss nur noch kalibriert werden, was aber fünf Monate dauert. Das ist wenig angesichts der 13,8 Milliarden Jahre, die seit dem Urknall vergangen sind. Was damals passierte, also nach dem Big Bang, soll das JWST rauskriegen. Dann werden wir auch „alles Mögliche erfahren, darüber, wer wir sind, was wir sind, wo wir herkommen und ob es da draußen sonst noch jemanden gibt“ – sagt die NASA. Das Teleskop verfügt über einen Riesenlautsprecher, aus dem regelmäßig der Ruf tönt: „Hallo, ist da jemand“? So ungefähr muss man sich das wohl vorstellen. Mich persönlich hätte noch mehr interessiert, was vor dem Urknall los war. Angeblich gab es damals, also vor 13,81 Mrd. Jahren, weder ein Universum, noch Raum, Zeit, Materie oder Smartphones. Einfach nichts. Ist das möglich?

An dieser Stelle böte sich nun ein philosophischer Exkurs über das Nichts bei Heidegger, Sartre, Kant, Hegel und Dieter Bohlen an. Wir wollen jedoch diesen Blog nicht intellektuell überfrachten mit Dingen, die selbst ich noch nicht vollumfänglich verstanden habe. Allerdings ist es mir aufgrund meiner profunden Kenntnisse der Quantenphysik, also der Wissenschaft von den großen Stinkefüßen, unlängst gelungen, aufbauend auf der Allgemeinen Relativitätstheorie die Relative Allgemeinheitstheorie zu entwickeln. Diese besagt, dass die Krümmung von Zeit und Raum nach der Formel ∆t‘ = ∆t : √(1 – v² : c²) bei notorischen Schweißfüßen im allgemeinen relativ unerheblich ist.

Wo waren wir stehengeblieben? Richtig, beim Urknall und dem Riesenteleskop. Ob das denen, die den Knall immer noch nicht gehört haben, auf die Sprünge hilft? Zum Beispiel im Erzbistum Köln, im Kreml oder in der Zentrale des DFB? Man möchte es gerne glauben. Dass sowohl das Universum als auch die Dummheit unendlich sind, soll schon Einstein herausgefunden haben, mit der Einschränkung, dass er sich beim Universum noch nicht ganz sicher war. Klar scheint jedenfalls, dass sich beide, das Universum und die Dummheit, mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnen. Und wir ahnen auch schon, wer das Rennen gewinnt.


Ein Leben ohne Ostereier ist möglich. Anmerkungen zu einem nicht geschriebenen Text

Hier sollte eigentlich aus Anlass der bevorstehenden Ostertage ein qualitativ hochwertiger, brillant formulierter und inhaltlich herausragender, aufhorchen lassender Text stehen. Scharf beobachtet, mit neuen Aspekten, die so noch nicht gesagt oder geschrieben wurden. Ein Text mit analytischer Strahlkraft, geprägt von profunder historischer Kenntnis und überraschenden Schlussfolgerungen. Ein Text, der sich nicht scheut, klar Position zu beziehen, der aber doch achtsam bleibt gegenüber leicht erregbaren Botschaftern, freidenkenden PEN-Präsidenten, zögerlichen Kanzlern und um Fassung ringenden Ministerinnen.  Ein Text, sagen wir ein Essay, das dem Ernst der Lage Rechnung trägt, das anprangert, was anzuprangern gilt, ohne dabei in voreilige Schuldzuweisungen zu verfallen. Ein Text über die geopolitischen Hintergründe und die historischen Ursachen des Ukrainekrieges und über die Widersprüche zwischen friedensbewegten Ostermarschierern und mehr schwere Waffen fordernden Bündnisgrünen. Dabei hätten die durch den Krieg verursachten Preissteigerungen und die Folgen für Leute mit kleinem Einkommen – Arbeitslose, Alleinerziehende, Sozialhilfeempfänger und sonstige Low Performer – nicht unerwähnt bleiben dürfen. Natürlich hätte daran anknüpfend auch der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang erörtert werden müssen, also die Frage, warum die grundsätzlich sinnvolle Forderung nach Reduzierung unseres Wohlstandsniveaus, nach Konsumverzicht usw. bei der vorgenannten Klientel auf gedämpften Jubel stößt. Woran sich eine grundlegende Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsweise und den Grenzen des Wachstums zwangsläufig hätte anschließen müssen. 

Dieser Text also wartet noch darauf geschrieben zu werden. Stattdessen ist das hier dabei herausgekommen:

Ein Leben ohne Ostereier ist möglich und keineswegs sinnlos. Auch ein Besuch der demnächst in Freiburg stattfindenden BBQ-Lifestyle-Messe „Rauch und Glut“ ist, wenn auch schweren Herzens für alle Freunde des Grillhobbys, verzichtbar – ebenso wie  bauchfreie Tops, die weibliche Teenager, egal wie dünn oder füllig sie sind, meinen, zu ihren schlabbrigen Hosen tragen zu müssen. Drei Dinge, bei denen ein Verzicht die Welt ein wenig erträglicher machen könnte.

In diesem Sinne: Sinnvolle Ostertage!