Mein Hund, der Zeitgeist und ich (2)

Es ist wieder passiert. Gestern, beim Gassigehen mit dem Hund – in meinem Falle mehr freies Gelände und keine Gassen – sah ich ihn zu spät. Den Zeitgeist. Ich konnte nicht mehr die Richtung wechseln, er hatte mich bereits erspäht. Wahrscheinlich hätte er mir vorgeworfen, ihm aus dem Weg zu gehen, weil ich die Wahrheiten dieser Zeit nicht zur Kenntnis nehmen will. Er hat auch einen Hund, der Zeitgeist, ich hatte am 26.02.2024 schon davon berichtet.

Dem Zeitgeist sein Hund springt an mir hoch, und er sabbert, ist aber sonst ok. Meine Hündin freut sich tierisch, wenn sie ihn sieht. Ich hingegen freue mich nicht, denn der Zeitgeist geht mir auf die Nerven mit seinem Gelaber. Einwanderung in unsere Sozialsysteme. Fachkräfte kommen nicht in Schlauchbooten und so. Unsere Regierung tut mehr für die Flüchtlinge als für die eigene Bevölkerung. Jetzt kann man jedes Jahr sein Geschlecht wechseln. Das haben wir den Grünen zu verdanken. Bullshit halt.

Gestern also. Ich so: „Na, auch wieder unterwegs?“ (ich versuche es mit belanglosem Smalltalk). Er: „Ja, lange nicht mehr gesehen. Ich war im Urlaub. Drei Wochen Kreuzfahrt in der Karibik! Alles inklusive für knapp 5.000 Euro, inklusive Hin- und Rückflug. Echt mega!“ Ich: „Vielleicht ist der Preis so günstig, weil das Servicepersonal an Bord schlecht bezahlt wird, bei langen Arbeitszeiten?“ (Ich weiß inzwischen, womit ich ihn provozieren kann) Er so: „Dafür haben die Leute freie Kost und Logis an Bord. Das ist doch ein Traumjob, arbeiten auf einem Kreuzfahrtschiff, wo andere Urlaub machen!“ Ich wechsle das Thema. Zecken. Das beschäftigt alle Hundebesitzer und ist politisch unverfänglich. Ich: „Dieses Frühjahr ist es ganz besonders schlimm mit den Zecken. Der Winter war einfach zu mild. Hat Ihr Hund auch so viele Zecken?“ Er: „Ne, eigentlich nicht. Wir haben uns dieses megagute Zeckenhalsband besorgt. Made in Bangladesch!“ Mist, schon wieder ein heikles Thema. Mein erster Gedanke: Wahrscheinlich mit Kinderarbeit. Ich heuchle Überraschung: „Interessant. Wo gibt es das denn?“ Er: „Bei Amazon“. Ich (jetzt auf Krawall gebürstet): „Na dann können Sie ja beruhigt sein, keine Menschenrechtsverletzungen, die Mitarbeiter nach Tarif bezahlt, das LkSG eingehalten …“ Er: „LkSG?“ Ich: „Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Schon mal gehört? Das, wo die FDP mal wieder dagegen war. Die ist ja überhaupt gegen alles, was die kapitalistische Ausbeutung zu unterbinden versucht. Gegen mehr Klimaschutz. Gegen Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen. Gegen das Bürgergeld, gegen Gendern, gegen höhere Steuern für Reiche, gegen die Kindergrundsicherung …“ Der Zeitgeist unterbricht mich: „An dieser Neiddebatte möchte ich mich nicht beteiligen. Sorry, ich muss weiter. Termin bei meinem Steuerberater. Die Kosten für die Kreuzfahrt kann ich vielleicht von der Steuer absetzen – jedenfalls ein Teil davon. Hab´per Video an zwei Dienstbesprechungen teilgenommen und nebenbei Homeoffice gemacht. Mal sehen, ob das was geht. Man sieht sich!“

Vielleicht muss ich doch mal meine Routen mit dem Hund ändern.


Hier kräht der Krah: Echte Männer sind rechts, Frauen sind schlank

Die Knalltüte Maximilian Krah, ultrarechter Trump-Verschnitt, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Freund der Taliban und des Rassisten Steve Bannon, Anhänger der Aluhut-Umvolkungs-Ideologie, auch „Schampus-Max“ genannt, kämpft um sein politisches Überleben. Es läuft gerade nicht so gut für ihn, wegen der Spionage-Vorwürfe gegen seinen Mitarbeiter Jian G. Hat er nicht gewusst, sagt der Max. Das mit der Spionage. Den verhafteten Mitarbeiter hat er entlassen. Aber die AfD-Führung Weidel / Chrupalla traut sich nicht, Krah zu entlassen. Sie hält an ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl fest. Offenbar hat man Schiss vor Götz Kubitschek, dem rechtextremen Chefideologen der Neuen Rechten, der seine schützende Hand über Krah hält.

Mal sehen, wie lange sich Krah noch halten kann! Wäre eigentlich schade, wenn er von der politischen Bühne verschwände. Männer seines Schlages braucht das Land. Echte Männer, die rechts sind und für die Frauen schlank zu sein haben. „Feministinnen sind alle hässlich und grässlich“, so Krah beim politischen Aschermittwoch. Also Mädels: Schminkt euch ab, zieht euer Dirndl an, unterstützt eure Männer, kriegt Kinder, wählt AfD und katapultiert euch zurück ins Mittelalter! Oder wollt ihr etwa alle moderne „befreite“ Feministinnen sein – ungepflegt und mit schlechtem Lebenswandel?

Das Frauenbild der AfD …


Globale Krisen, regionale Kriege, nationale Katastrophen: Alles wird gut?

In diesem Blogbeitrag geht es um die Zuversicht. Bevor wir aber diesem Thema – man könnte stattdessen auch sagen, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – unsere Aufmerksamkeit schenken, zunächst ein kleiner Ausschnitt aus den Nachrichten dieser Tage. Nicht repräsentativ, aber wem noch etwas Wichtiges fehlt, möge die Darstellung gerne vervollständigen. Auf Quellenangaben verzichte ich. Wer´s nicht glaubt, mag selber recherchieren.

Kriege, Krisen, Katastrophen: Richtet das Anthropozän den Globus zugrunde?

Die Erderwärmung nimmt weiter zu. Der Kampf gegen den Klimawandel scheint aussichtslos. Die Vermüllung der Meere mit Plastikverpackungen schreitet fort. Auch das All ist zunehmend durch Weltraumschrott belastet. Die Ausgaben für Rüstung und die Exporte von Rüstungsgütern waren 2023 so hoch wie noch nie. Kriege und gewaltsame Konflikte nehmen zu. Demokratische Gesellschaftssysteme geraten vermehrt unter Druck. In vielen Ländern etablieren sich nicht demokratisch legitimierte Unrechtsregime. Damit einher gehen Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung politisch Andersdenkender, Unterdrückung von Minderheiten. Rechtsextreme Bewegungen sind weltweit auf dem Vormarsch und werden zunehmend salonfähig. Terroristische Gruppierungen überziehen ganze Regionen mit Gewalt, oft in Verbindung mit religiösem Fanatismus. Es sind weltweit wieder mehr Menschen von Hunger betroffen. Der humanitäre Flüchtlingsschutz, eine Errungenschaft der Völkergemeinschaft, wird mehr und mehr abgebaut. Die Länder des globalen Südens fühlen sich von den wohlhabenden Ländern des Nordens getäuscht. Globale Bemühungen um Frieden und Völkerverständigung, um einen Dialog der Kulturen und Religionen, um solidarische und gerechtere Welthandelsbeziehungen finden kaum noch statt.

Und wie steht´s mit der Wohlstandsinsel Deutschland?

Und was unser Land angeht, gäbe es auch viel zu beklagen: In deutschen Kitas und Schulen fehlen 300.000 Erzieher/innen und 160.000 Lehrkräfte. Wir beobachten eine Verrohung der politischen Debattenkultur. Eine allgemeine Politikverdrossenheit macht sich breit, Menschen, die sich politisch engagieren oder Hilfen leisten, werden bedroht und beschimpft. Rechtsextreme Bewegungen und Verschwörungsphantasien finden breite Zustimmung. Dabei scheint die größte Sorge der Deutschen einer geringeren Wirtschaftsleistung und einem damit einhergehenden Wohlstandsverlust zu gelten.

Zuversicht in finsteren Zeiten

Ist das jetzt apokalyptische Schwarzmalerei oder realistische Zustandsbeschreibung unserer Zivilisation? Ja, wir leben in finsteren Zeiten. Die Zukunftsaussichten sind auch alles andere als rosig, sagen die, die sich gerne in Untergangsszenarien suhlen. Es ist schwer, bei der Betrachtung des Zustands der Welt optimistisch zu bleiben. „Zuversicht ist wie ein Muskel – man muss sie schon ordentlich trainieren, um sie in sich zu spüren“ schreibt Thea Dorn in der ZEIT. Wie jetzt? Zuversicht trotz allerdüsterster Aussichten? Aber wer sagt eigentlich, dass der gegenwärtige Zustand der Welt Schlussfolgerungen auf die Zukunft erlaubt?

Ein Apfelbäumchen pflanzen

An dieser Stelle darf ein Hinweis auf das angeblich von Luther stammende Zitat vom Apfelbäumchen nicht fehlen: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Darin kommt zum Ausdruck, womit sich die Philosophen aller Zeiten herumgeschlagen haben, nämlich mit der Frage, ob die Zukunft offen oder vorhersagbar ist – letzteres können nach Karl Popper nur falsche Propheten behaupten.  Und was würde Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde und immer noch für alles Mögliche herhalten muss, dazu sagen? Don´t worry, be happy? Weil ich es bis heute nicht geschafft habe, Kant zu lesen, geschweige denn zu verstehen, zitiere ich lieber einen zeitgenössischen Philosophen, der auch noch so ähnlich heißt wie ich und der sich für mein intellektuelles Niveau verständlich ausdrückt: Paul Liessmann. Er hat in einem Vortrag zum Thema: „Alles wird gut – Zur Dialektik der Hoffnung“ ein paar schlaue Sachen gesagt: „Auch wir beginnen deshalb mit einer alten Weisheit. Dum spiro spero – Solange ich atme, hoffe ich. Diese Sentenz gehört wahrscheinlich zu den meist zitierten Sätzen der Antike, sie wird gemeinhin Marcus Tullius Cicero zugeschrieben.“ Und weiter meint Liessmann: „Hoffen bedeutet, daran zu glauben, dass das Unwahrscheinliche gegen alle empirischen und vernünftigen Gründe dennoch eintreten könnte. Oder umgekehrt: Wie oft hoffen wir, dass Ereignisse, die allen Beobachtungen und Berechnungen nach wahrscheinlich eintreten werden, dann doch ausbleiben“. 

Zuversicht als Grundhaltung

Wenn uns diese Grundhaltung der Zuversicht und der Hoffnung fehlt, wenn wir nicht mehr daran glauben, dass eine bessere Zukunft möglich ist, wozu dann noch Anstrengungen unternehmen, um das Klima zu schützen, den Frieden zu suchen, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, Notleidenden zu helfen? Wozu dann das Apfelbäumchen pflanzen? Die Kraft, für eine bessere Welt zu kämpfen, kann nur aufbringen, wer optimistisch in die Zukunft schaut. Dietrich Bonhoeffer hat das in einem Brief aus der Nazi-Haft so formuliert: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt“.

„Bleiben sie zuversichtlich“ – mit dieser Aufforderung an sein Publikum beendet der ARD-Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni die abendliche Nachrichtensendung. Dem schließe ich mich gerne an:

Bleiben wir zuversichtlich!


Geldvermögen der Deutschen steigt 2023 weiter

Heute müssen wir mal wieder gegen die Reichen pesten. Liebe Leute: Geht Euch das allgemeine Gejammer über den Wohlstandsverlust auch so granatenmäßig (für diese unpassende Wortwahl entschuldige ich mich auf der Stelle, darauf hat mich mein Sensitivity-Reader gerade hingewiesen!) – so unfassbar auf die Nerven? Im Jahr 2023 ist das Geldvermögen der Deutschen um 6,6 Prozent gestiegen. Die privaten Haushalte verfügen über ein Geldvermögen von 7.716 Milliarden Euro. Das macht – bei 41,3 Millionen Haushalten – im Durchschnitt pro Haushalt 187.000 Euro. Krass, oder? Da sind nicht mal Immobilien oder sonstige Sachwerte mitgerechnet, sondern nur Bargeld und Bankguthaben, Wertpapiere und Ansprüche gegenüber Versicherungen. Demnach müssten die fünf Haushalte meiner engeren Familie (mein eigener und die meiner Kinder und Enkel) knapp eine Million Euro Barvermögen besitzen. Wer zum Teufel, frage ich mich, hat unser Geld???

Damit wären wir bei der Frage der Verteilung. Die ist – Überraschung! – nicht gerecht. Die Statistik wird halt versaut von so Leuten wie Klaus-Michael Kühne (38,1 Mrd. USD), Dieter Schwarz (37,8 Mrd. USD) oder Susanne Klatten, stinkreiche BMW-Erbin, mit einem Vermögen von 26,1 Milliarden USD (wobei die erwähnten Herren und Damen die Kohle vermutlich nicht im Nachtisch rumliegen haben). Die oben zitierten Zahlen beziehen sich ja „nur“ auf das Barvermögen der deutschen Haushalte.

Dass sich an dieser ungleichen Verteilung von Vermögen und Einkommen nichts ändert, dafür sorgt verlässlich unsere Fortschrittsdämpfungspartei FDP. Von wem diese Partei die meisten Spenden bekommt? Mit dieser unbeantworteten Frage entlasse ich meine Leserinnen und Leser ins Wochenende.     


Bezahlkarte für Flüchtlinge: So werden Vorurteile gegen Migranten geschürt

Nun ist sie da, die Bezahlkarte für Flüchtlinge. Lange wurde in der Ampel darum gestritten. Jetzt hat man sich auf eine bundesweite Einführung geeinigt. Mit ihr werden viele Erwartungen verknüpft: Sie soll Fluchtanreize verringern, für weniger Verwaltungsaufwand sorgen, Überweisungen in die Herkunftsländer oder an Schlepper verhindern. Für die der Karte nachgesagte Abschreckungswirkung gibt es keine Belege. 460 Euro im Monat sind nun wirklich nicht der größte Anreiz, nach Deutschland zu kommen. Wie viel davon wohl für Schlepper und die Familie im Heimatland übrigbleibt, wenn die Lebensmittel für den Monat gekauft sind? Es bleibt ein schaler Geschmack. Nämlich dass hier Vorurteile gegen Flüchtlinge geschürt werden. Flüchtlinge unter Generalverdacht? Das ist Gift für das Zusammenleben und Nahrung für Fremdenfeindlichkeit. Die AfD lässt grüßen.


Nie wieder ist jetzt! Eine Ansprache

Seit Januar 2024 finden im ganzen Land Demonstrationen gegen die rechtsextreme, rassistische und menschenverachtende Ideologie und Politik derAfD und ihr nahestehende Gruppierungen statt. So auch heute, am 24. März, in meiner Heimatregion, dem Hexental bei Freiburg. Die Veranstalter der Kundgebung „Nie wieder ist jetzt! Demokratie und Vielfalt erhalten!“ hatten mich um einen Redebeitrag gebeten. Hier das Manuskript der Rede (im gesprochenen Text wurde einzelne Passagen gekürzt):

Liebe Freundinnen und Freunde: Es ist an der Zeit! So heißt ein Lied von Hannes Wader, vielleicht kennt ihr es. Es ist ein Antikriegslied, und es ist heute wieder sehr aktuell – leider. Das Lied endet mit den Zeilen: Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit, diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.

Heute ist es an der Zeit, gegen die braune Gefahr, gegen die Bedrohung durch den Rechtsextremismus aufzustehen. Die Bedrohung von rechts ist keine abstrakte Gefahr, sondern sie ist sehr real! In ganz Deutschland und in Europa beobachten wir ein Erstarken rechtsextremer Gruppierungen und faschistischer Tendenzen.

Ich bin den Organisatoren dieser Kundgebung und allen Unterstützerorganisationen dankbar, dass wir uns heute hier in Au für eine offene, tolerante, vielfältige und demokratische Gesellschaft versammeln können.

Es ist ermutigend, dass so viele Menschen, dass auch wir hier im Hexental wachsam sind und uns wehren, dass wir unsere Demokratie verteidigen. Wir – das ist jede und jeder Einzelne von uns, das ist die Zivilgesellschaft, das sind Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine – wir alle fühlen uns verbunden mit mehr als drei Millionen Menschen, die seit Anfang Januar gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen sind – in über 900 Orten in ganz Deutschland.

Vielleicht geht es euch so wie mir: Ich laufe ungern hinter Bannern her und rufe ungern Parolen, die andere für mich formuliert haben. Unser Protest, unsere Sorge über die politischen Entwicklungen lassen sich nicht auf simple Parolen reduzieren. Es geht auch nicht darum, pauschal gegen Rechts zu protestieren, wie manche uns vorwerfen. Nein, es geht darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die vom Rechtsextremismus ausgehen! Deshalb ist es notwendig, dass wir uns zu Wort melden und nicht den Brunnenvergiftern und Feinden der Demokratie das Feld überlassen!

Wenn wir uns im schönen Hexental umschauen, dann scheint die braue Gefahr weit weg zu sein: In Thüringen oder Sachsen, in Berlin oder Stuttgart, ja sogar in Freiburg, aber doch nicht bei uns? Liebe Leute: Machen wir uns nichts vor: Auch unsere beschaulichen Kommunen sind nicht immun gegen rechtes Gedankengut! Auch für uns gilt: Wehret den Anfängen! NIE WIEDER IST JETZT!

Der AfD schaden die Proteste nicht wirklich. Ihre Zustimmungswerte sind zwar zuletzt leicht gesunken. Aber die braune Gefahr ist nicht gebannt, im Gegenteil. Im schlimmsten Fall gelingt es der AfD, auf Länderebene Regierungsverantwortung zu übernehmen – und das ist längst kein völlig unrealistisches Szenario mehr – in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden sie bei den Landtagswahlen dieses Jahr zur stärksten Kraft werden.

Diese Partei vertritt eine rechtsextreme Ideologie und Politik – und das völlig offen und ungeschminkt! Es ist daher eine Verharmlosung, wenn die AfD als rechtspopulistisch bezeichnet wird. Nein, die AfD ist nicht rechtspopulistisch. Sie ist nicht bürgerlich. Sie ist rechtsextrem, rassistisch und menschenverachtend. Sie ist gefährlich, weil für die AfD die Würde des Menschen antastbar ist! Nicht-Deutsche, Behinderte, Ausländer, Queere, Andersgläubige – sie alle sollen nach den Vorstellungen der AfD verschwinden, ausgeschlossen werden, wenn es sein muss, gewaltsam deportiert werden. Das hatten schon mal, das wollen wir nicht wieder! NIE WIEDER IST JETZT!

In der Badischen Zeitung lese ich, dass die Freiburger AfD sich darüber beklagt, das gesellschaftliche Klima sei durch linke Propaganda und Falschinformationen vergiftet. Was für eine groteske Verdrehung der Tatsachen! Vielleicht sollte man die Freiburger AfD daran erinnern, was führende Köpfe ihrer Partei an hetzerischen und vergifteten Parolen verbreiten: 

Maximilian Krah, genannt „Shampus-Max“, der gegen Flüchtlinge hetzt und der selbst bei der AfD als Rechtsaußen gilt und der vor allem auf TikTok seine homophoben Thesen verbreitet, und erklärt, dass Frauen an den Herd gehören und Kinder kriegen sollen, Beatrix von Storch, die den Einsatz von Schuss-waffen gegen Geflüchtete forderte, Alexander „Vogelschiss“ Gauland, der stolz ist auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, Jens Maier, der den Massenmord des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik rechtfertigt, und der lupenreine Faschist und Möchtegern Adolf Björn Höcke, der offen auf eine am Nationalsozialismus orientierte Gewaltherr-schaft zielt und von einem großangelegten „Remigrationsprojekt“ träumt, bei dem man nicht um „wohltemperierte Grausamkeit“ herumkommen würde …

Es besteht kein Zweifel daran, was uns droht, wenn die AfD das Sagen hat: Einschränkung der Pressefreiheit und Kontrolle der Medien, Maßnahmen gegen Geflüchtete, Ausgrenzung und Verfolgung von Andersdenkenden, Besetzung von Spitzenpositionen in den Behörden mit eigenen Leuten, Beschränkung des Verfassungsschutzes, Aufhebung von Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz, Streichung der Förderungen für zivilgesellschaftliche Initiativen, usw.

Liebe Freundinnen und Freunde: Niemand soll später sagen, wir hätten nicht gewusst, was diese Partei plant.

Es wäre aber zu einfach, das, was wir heute erleben, als Blaupause des Dritten Reiches zu verstehen, auch wenn Äußerungen der Rechtsextremen so klingen. „Es ist ein neuer Hass, es ist eine neue Hetze, eine neue Niedertracht und ein neues, immer noch gleichfalls dummes, ungebildetes, unaufgeklärtes Böses“ (Claus Eurich). Deshalb bin ich vorsichtig mit dem Nazi-Vergleich.

Es gibt noch etwas, das uns Sorgen machen sollte: Es ist ja nicht allein die von der AfD offen vertretene rechtsextremistische Ideologie. Wir sehen eine Diskursverschiebung nach rechts auch bei Parteien, die sich zum demokratischen Spektrum zählen, die aber zunehmend rechte Positionen übernehmen – und das nicht nur beim politischen Aschermittwoch. Ich meine damit zum Beispiel die Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik, ich meine die Legende vom massenhaften Sozialmissbrauch, womit Vorurteile gegen Bürgergeldempfänger geschürt werden, ich meine die grassierende Kriegsrhetorik, die unser Land und damit uns alle kriegstauglich machen soll. 

Seien wir ehrlich: Wie anfällig sind wir, auch ohne AfD-Anhänger zu sein, wenn es um unsere eigenen materiellen Besitzstände geht? Wenn unser Wohlstand und unser Lebensstandard in Frage gestellt sind? Wie steht es mit unserer Willkommenskultur für Geflüchtete, wenn wir dafür materielle Abstriche in Kauf nehmen müssen? Wie stabil oder wie gefährdet ist der zivilisatorische Konsens, der uns davor bewahrt, Hass, Missgunst und Neid auf angebliche Sündenböcke zu richten, auf Migranten, Juden, alte weiße Männer, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Klimasünder?

Liebe Freundinnen und Freunde: Demonstrieren ist gut, reicht aber nicht. Es reicht nicht, einmal zur Demo zu gehen und ein Schild hochzuhalten Es braucht einen langen Atem und kontinuierlichen Widerstand, um den braunen Sumpf trockenzulegen. Diese Ideologie darf sich nicht durchsetzen. Wir müssen als Demokratinnen und Demokraten dagegenhalten. Zeigen wir klare Kante und Zivilcourage, in den Betrieben, in der Schule, im Verein, in der Glaubensgemeinschaft – wo immer wir im Alltag den dummen Sprüchen begegnen, die oft so harmlos daherkommen, nach dem Motto: Man wird ja mal fragen dürfen…

Zum Schluss: Geht am 9. Juni wählen und erteilt mit eurer Stimmabgabe den Kandidaten und Parteien mit rechtsextremem Gedankengut eine Absage. Setzt mit uns gemeinsam ein Zeichen für Freiheit, Toleranz und Vielfalt! In unserer Gesellschaft soll kein Platz sein für Spaltung, Hass und Hetze.

Nicht wählen zu gehen, hilft den Parteien, die mit aggressiven Parolen ihre Unterstützer mobilisieren. Geht daher bitte wählen und gebt bei der Kreistags- und Europawahl eure Stimmen Parteien, von denen ihr wisst, dass sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mittragen.

Bei aller berechtigten Kritik an der Regierung: Jetzt heißt es gegen die Rechtsextremisten zusammenzustehen!

Vielen Dank


Auch Feministinnen können irren. Ein Beitrag zum Internationalen Frauentag

Vielleicht sollte ich, der Empfehlung am familiären Frühstückstisch folgend, heute besser die Klappe halten und mich als alter weißer Cis-Mann nicht dazu hinreißen lassen, etwas zum Internationalen Frauentag, dem „feministischen Kampftag“ im Jargon mancher Feministinnen, verlautbaren zu lassen. Kann nur schief gehen. Egal, wie solidarisch ich mich mit den Anliegen der Frauen äußere: Der Bannstrahl der Cancel culture wird mich aufgrund meines Mannseins treffen, bevor ich auch nur den Mund aufgemacht habe.

Dabei hätte ich nur sagen wollen, dass meine Bereitschaft, Neues aus der queer-feministischen Bewegung zu lernen, bei der Lektüre der Tageszeitung auf eine harte Probe gestellt wurde. Bisher war ich stolz darauf, das Kürzel LSBTTIQ+ stolperfrei auflösen zu können. Heute lese ich nun, im Zusammenhang mit einem Interview mit zwei Feministinnen, zum ersten Mal den Begriff „FLINTA*“. Nein, liebe Männer, mit „Flintenweiber“ hat das nichts zu tun. Bei FLINTA* handelt es sich um einen Sammelbegriff für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Der angehängte * (Asterisk), so Wikipedia, „dient dabei als Platzhalter für alle Personen, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber dennoch von Marginalisierung betroffen sind“. Könnte mit dem Asterisk etwa auch ich gemeint sein? Weil ich beim Sportunterricht in der Schule immer als Letzter gewählt wurde?

Ebenfalls heute lese ich, dass die politische Philosophin und Galionsfigur des Feminismus Judith Butler sich zum 7. Oktober geäußert hat, und zwar so: „Ich denke, es ist ehrlicher und historisch korrekt, zu sagen, dass der Aufstand (!) des 7. Oktober ein Akt des bewaffneten Widerstands (!!) war. Es ist kein Terrorakt (!!!) und es ist kein antisemitischer Angriff“ (Ausrufungszeichen von mir). Holy shit! Massenhafte Vergewaltigungen als Akt des bewaffneten Widerstands?? Aber es steht mir als Mann ja nicht zu, am Internationalen Frauentag dazu eine Meinung zu haben. Vielleicht morgen wieder?


Mein Hund, der Zeitgeist und ich

Unsere Bordercollie-Hündin Lou ist nicht sehr anspruchsvoll: Viel streicheln, „Bring das Bällchen spielen“, Gassi gehen. Fressen natürlich, das ist ihr wichtig. Sie hat ein freundliches, zugewandtes Wesen und begegnet allen Menschen, die uns besuchen, mit Wohlwollen. Nur Igel kann sie nicht leiden. Die meiste Zeit am Tag liegt sie faul rum und döst vor sich hin. Wenn ich mit ihr spazieren gehe, bin ich lieber allein. Dann kann ich auch vor mich hindösen und meinen Gedanken nachhängen.  Doch manchmal lassen sich Begegnungen mit anderen Hundebesitzern nicht vermeiden – Frauen sind mitgemeint –, darunter nette, langweilige und nervige. Bei manchen sage ich „Hallo“, mit anderen wechsle ich ein paar Worte. Man redet dann so dies und das, meist Belangloses.

Leider hat der Zeitgeist auch einen Hund, und weil unsere Hunde gerne und ausgiebig miteinander spielen, kann ich längeren Gesprächen mit ihm, dem Zeitgeist, nicht immer aus dem Weg gehen. So neulich wieder.

Zeitgeist (aufgekratzt): Hallöchen!
Ich (eher brummig): Hallo.
(kurze Pause)
Zeitgeist: Auch wieder unterwegs?
Ich (statt „Sieht man ja“ zu antworten): Ja, muss sein. Bei dem Wetter geht ja niemand freiwillig vor die Tür … (und weiter, was sich alsbald als Fehler herausstellt) …der Klimawandel könnte sich wenigstens mal von seiner wärmeren Seite zeigen.
Zeitgeist: Das mit dem Klimawandel ist doch reine Panikmache. Die wollen nur, dass wir uns alle eine neue Heizung einbauen und ein Elektroauto kaufen …
Ich: Äh, die? Wer ist „die“?
Zeitgeist: Na die Grünen. Also der Habeck. Die ganze Ampel. Die ist sowieso an allem schuld. Wir haben die dümmste Regierung aller Zeiten. Diese Leute sind sowas von unfähig. Die ganze politische Klasse ist am Ende.
Ich: Das scheint mir aber etwas unterkomplex. Ich finde auch nicht alles gut, was unsere Regierung derzeit auf die Reihe kriegt und wie sie sich gegenseitig zerlegen, aber …
Zeitgeist (fällt mir ins Wort): In Peru werden Radwege mit deutschen Steuergeldern gebaut, während hier Brücken und Straßen marode sind. Deutschland wird doch systematisch kaputt gemacht. Findest Du (seit wann duzen wir uns?) das etwa in Ordnung? (Ohne meine Antwort abzuwarten) … und Annalena Baerbock gibt im Monat 20.000 Euro für Ihre Klamotten und den Friseur aus – von unseren Steuergeldern natürlich.
Ich: Das kann ich mir nicht vorstellen – wo haben Sie das denn her?
Zeitgeist: Hab´ ich aus dem Internet. Darüber wird halt in den Mainstreammedien nicht berichtet.
Ich (versuche das Thema zu wechseln): Was mir an unserer Politik nicht gefällt, das sind die hohen Rüstungsausgaben, immer mehr für Panzer und Munition, und gleichzeitig soll an den  Sozialausgaben gespart werden …
Zeitgeist: Wenn die Asylanten nicht so viel Geld bekämen, würden sie gar nicht erst zu uns kommen. Es muss endlich in großem Stil abgeschoben werden. Und davon mal abgesehen: Deutschland muss kriegstauglich werden.
Ich: Und wann wäre das?
Zeitgeist: Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Ein paar Jahre wird es wohl dauern, bis wir so weit sind, dass wir uns gegen die Russen verteidigen können. Die Amerikaner wollen uns nicht mehr schützen, deshalb brauchen wir eigene Atomwaffen. Natürlich nur zur Abschreckung …
Ich: Sorry, ich muss mich um den Hund kümmern (Lou hat während der letzten Zeitgeist-Äußerungen auf die Wiese gekotzt … (zum Hund gewandt) Mensch Lou, hast du wieder Scheiße gefressen, sollst du doch nicht … (und zum Zeitgeist) man sieht sich …


Politischer Aschermittwoch: Achtung, Achtung, hier ist die CSU!

So die Begrüßung durch Markus Söder beim heutigen politischen Aschermittwoch der CSU. Muss er vielleicht sagen, damit die bierseligen Gäste wissen, wo sie sind, nämlich in Bayern, in der „ampel- und wokenessfreien Zone“, wie Söder verkündet. Das ist zwar strunzdummer bullshit, aber Söder ist nicht blöd und weiß, dass beim politischen Aschermittwoch („der geilste Termin des Jahres“) die niederen Instinkte und Gefühle der Parteibasis bedient werden müssen. Dazu gehören auch Forderungen wie „Die Ampel muss weg“ oder „Wir wollen keine Grünen in der nächsten Bundesregierung“. Da gibt es schon mal eine gehörige Schnittmenge mit der AfD, gell Herr Söder? Aber die AfD, das sei der Fairness halber gesagt,  kriegt bei seiner Rede im Bierzelt auch ihr Fett weg – wenn auch viel weniger als die Grünen.

Die AfD zelebriert ihren politischen Aschermittwoch in Greding und meint: „Wer Deutschland nicht liebt, der kann jetzt schon Deutschland verlassen!“ Oder sowas hier: „Die Grünen schreiben uns vor, Käfer und Ungeziefer zu essen fürs Klima“ (Stephan Brandner, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion). Das hat übrigens Söder auch schon bei anderen Gelegenheiten behauptet. Oder war es der Aiwanger Hubert? Herbert Wehner hätte dazu gesagt: Das war schon früher Quatsch und ist heute noch Quätscher. Für die FDP sprach Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Dingolfing, bei jedem Applaus von einem karnevalesken Tusch begleitet. Die permanenten Wortmeldungen von Strack-Zimmermann zu jedem beliebigen Thema können einen auch aus Deutschland hinaustreiben.

Und was hört man von den Grünen? Sie mussten ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch in Biberach wegen der Blockierung von Zufahrtswegen, aggressiven Aktionen gegen die Polizei und Sicherheitsproblemen bei Demonstrationen im Umfeld absagen. Von einer demokratischen Streit- und Protestkultur scheint sich dieses Land mehr und mehr zu entfernen.

Der Aschermittwoch bedeutet in der christlichen Tradition den Beginn der 40tägigen Fastenzeit. Meine Empfehlung an alle Parteien: Verzichtet auf die politischen Aschermittwochsveranstaltungen mit überflüssigen Stammtischparolen und verordnet Euch selbst eine 40tägige Abstinenz von dummdreisten Sprüchen wie: „Schweinsbraten und Leberkäs haben in Bayern Verfassungsrang“ (Originalton Söder). Hört auf damit, das politische und soziale Klima zu vergiften. Der demokratische Zusammenhalt ist in diesen Tagen gefragt, nicht die grobe Holzerei bei politischen Stammtischen.

Das war übrigens mein Redebeitrag zum politischen Aschermittwoch am heimischen Familientisch. Aber wahrscheinlich hört mal wieder niemand zu.


Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit

Dieser Text knüpft an das Thema meines letzten Blogbeitrags an („Aufstehen gegen den rechten Sumpf“) und stellt die Frage: Wie umgehen mit den vielen schlechten Nachrichten, die uns in diesen Tagen bedrücken? Es ist ja nicht allein das erschreckende Wiedererstarken des Rechtsextremismus. Russland bombardiert unvermindert zivile Ziele in der Ukraine. In Gaza wurden, nach dem entsetzlichen Massaker der Hamas in Israel, seit Beginn der israelischen Militäroffensive zwei Drittel der Häuser zerstört, 1,7Millionen Menschen (80 % der Bevölkerung) vertrieben, mehr als 27.000 getötet, darunter überwiegend Frauen und Kinder. Lt. UNICEF haben mindestens 17.000 Kinder ihre Eltern verloren und sind alleine auf der Flucht. Die humanitäre Katastrophe, die sich in Gaza abspielt, übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Und dann wären da noch die Kriege und Gewaltkonflikte im Jemen, in Myanmar, in Mali, im Sudan, in Somalia …

Wie also umgehen mit schlechten Nachrichten? Abschalten? Wegschauen? Ignorieren?  Nachrichtenmüdigkeit („news fatigue“) scheint gerade unter jungen Menschen zuzunehmen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen plädiert für die richtige Dosierung zwischen engagierter Anteilnahme am Weltgeschehen und Abgrenzung durch gezielte Auswahl von guten Nachrichtenquellen. Auf ZEIT online erscheint jede Woche neu die Rubrik „Nur gute Nachrichten und Inspirierendes zum Wochenende“. Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt?

Viele Menschen, sofern sie nicht schon in resignative Gleichgültigkeit verfallen sind, fühlen sich verantwortlich, aber gleichzeitig ohnmächtig angesichts von Krieg, Umweltzerstörung, sozialer Ungleichheit, Diskriminierung von Minderheiten, rechtsextremistischen Parolen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten auf die Straße gehen, seiner Empörung über gesellschaftliche Missstände Ausdruck verleihen kann helfen, wenn schon nicht die Missstände selbst aus der Welt zu schaffen, so doch aktiv zu werden und die empfundene Ohnmacht für eine kurze Zeit zu überwinden.

Der französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel hat mit seinem 2010 erschienen Essay „Indignez-vous! (Empört Euch!) zum politischen Widerstand aufgefordert: Gegen die Diskriminierung von Ausländern, gegen den Finanzkapitalismus, gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen eine verfehlte Umweltpolitik, gegen die israelische Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten. Wir wissen nicht, welche Anlässe zur Empörung Hessel heute nennen würde, wenn er noch lebte: Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Das Erstarken des Rechtsextremismus in Europa? Die unterschiedslose Kriegsführung Israels gegen die Hamas und die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen? Die Unterdrückung der Opposition in Russland? Die wachsende Kluft zwischen Armut und Reichtum? Die Waffenlieferungen an die Ukraine?

Hessel war sich bewusst, dass die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse komplex sind und dass es keine einfachen Lösungen gibt. Gleichgültigkeit gegenüber den herrschenden Verhältnissen sei jedoch „das Schlimmste, was man sich und der Welt antun“ könne (Stéphane Hessel: Empört Euch! Ullstein Verlag 2011, S. 13). Gewarnt sei an dieser Stelle vor einer möglichen Verwechslung mit den so genannten „Wutbürgern“, jene vornehmlich gutbürgerlichen konservativen Personengruppen, die sich lautstark gegen unliebsame politische Entscheidungen richten und sich dabei nicht scheuen, mit rechtsextremen Gruppierungen zu marschieren und „wir sind das Volk“ oder „Lügenpresse“ zu gröhlen.

Über den Zorn, das Böse und die Habgier hat der Kabarettist Georg Schramm in einer – wie ich finde – Sternstunde des deutschen Kabaretts erklärt, dass der Zorn nicht mit der Wut verwechselt werden sollte. „Die Wut“, so Schramm, „ist die unbeherrschte zügellose Schwester des Zorns“. (Den Auftritt von Schramm kann man hier in voller Länge anschauen).

Mit dem Zorn und der Empörung gilt es allerdings sparsam umzugehen. Eine inflationäre Empörungsökonomie, bei der jede noch so banale Angelegenheit hysterische Schnappatmung erzeugt, führt dazu, dass die sich Empörenden nicht ernst genommen werden.Mein Zug ist schon wieder verspätet?  In Paris wird das Parken für SUVs richtig teuer? Superstar Taylor Swift kann mit ihrem Privatjet nicht zum Super Bowl fliegen, weil alle Parkplätze für Flugzeuge in der Umgebung belegt sind?

Hessel Aufruf „Empört Euch“ ist heute noch aktuell. Anlässe, die unsere Empörung und unseren Widerstand verdient haben, muss man nicht lange suchen. Hier meine persönlichen Empörungsempfehlungen der Woche: „In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein“, und: „EU-eigene Atombomben im Gespräch“.