Nie wieder ist jetzt! Eine Ansprache

Seit Januar 2024 finden im ganzen Land Demonstrationen gegen die rechtsextreme, rassistische und menschenverachtende Ideologie und Politik derAfD und ihr nahestehende Gruppierungen statt. So auch heute, am 24. März, in meiner Heimatregion, dem Hexental bei Freiburg. Die Veranstalter der Kundgebung „Nie wieder ist jetzt! Demokratie und Vielfalt erhalten!“ hatten mich um einen Redebeitrag gebeten. Hier das Manuskript der Rede (im gesprochenen Text wurde einzelne Passagen gekürzt):

Liebe Freundinnen und Freunde: Es ist an der Zeit! So heißt ein Lied von Hannes Wader, vielleicht kennt ihr es. Es ist ein Antikriegslied, und es ist heute wieder sehr aktuell – leider. Das Lied endet mit den Zeilen: Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit, diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.

Heute ist es an der Zeit, gegen die braune Gefahr, gegen die Bedrohung durch den Rechtsextremismus aufzustehen. Die Bedrohung von rechts ist keine abstrakte Gefahr, sondern sie ist sehr real! In ganz Deutschland und in Europa beobachten wir ein Erstarken rechtsextremer Gruppierungen und faschistischer Tendenzen.

Ich bin den Organisatoren dieser Kundgebung und allen Unterstützerorganisationen dankbar, dass wir uns heute hier in Au für eine offene, tolerante, vielfältige und demokratische Gesellschaft versammeln können.

Es ist ermutigend, dass so viele Menschen, dass auch wir hier im Hexental wachsam sind und uns wehren, dass wir unsere Demokratie verteidigen. Wir – das ist jede und jeder Einzelne von uns, das ist die Zivilgesellschaft, das sind Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine – wir alle fühlen uns verbunden mit mehr als drei Millionen Menschen, die seit Anfang Januar gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen sind – in über 900 Orten in ganz Deutschland.

Vielleicht geht es euch so wie mir: Ich laufe ungern hinter Bannern her und rufe ungern Parolen, die andere für mich formuliert haben. Unser Protest, unsere Sorge über die politischen Entwicklungen lassen sich nicht auf simple Parolen reduzieren. Es geht auch nicht darum, pauschal gegen Rechts zu protestieren, wie manche uns vorwerfen. Nein, es geht darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die vom Rechtsextremismus ausgehen! Deshalb ist es notwendig, dass wir uns zu Wort melden und nicht den Brunnenvergiftern und Feinden der Demokratie das Feld überlassen!

Wenn wir uns im schönen Hexental umschauen, dann scheint die braue Gefahr weit weg zu sein: In Thüringen oder Sachsen, in Berlin oder Stuttgart, ja sogar in Freiburg, aber doch nicht bei uns? Liebe Leute: Machen wir uns nichts vor: Auch unsere beschaulichen Kommunen sind nicht immun gegen rechtes Gedankengut! Auch für uns gilt: Wehret den Anfängen! NIE WIEDER IST JETZT!

Der AfD schaden die Proteste nicht wirklich. Ihre Zustimmungswerte sind zwar zuletzt leicht gesunken. Aber die braune Gefahr ist nicht gebannt, im Gegenteil. Im schlimmsten Fall gelingt es der AfD, auf Länderebene Regierungsverantwortung zu übernehmen – und das ist längst kein völlig unrealistisches Szenario mehr – in Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden sie bei den Landtagswahlen dieses Jahr zur stärksten Kraft werden.

Diese Partei vertritt eine rechtsextreme Ideologie und Politik – und das völlig offen und ungeschminkt! Es ist daher eine Verharmlosung, wenn die AfD als rechtspopulistisch bezeichnet wird. Nein, die AfD ist nicht rechtspopulistisch. Sie ist nicht bürgerlich. Sie ist rechtsextrem, rassistisch und menschenverachtend. Sie ist gefährlich, weil für die AfD die Würde des Menschen antastbar ist! Nicht-Deutsche, Behinderte, Ausländer, Queere, Andersgläubige – sie alle sollen nach den Vorstellungen der AfD verschwinden, ausgeschlossen werden, wenn es sein muss, gewaltsam deportiert werden. Das hatten schon mal, das wollen wir nicht wieder! NIE WIEDER IST JETZT!

In der Badischen Zeitung lese ich, dass die Freiburger AfD sich darüber beklagt, das gesellschaftliche Klima sei durch linke Propaganda und Falschinformationen vergiftet. Was für eine groteske Verdrehung der Tatsachen! Vielleicht sollte man die Freiburger AfD daran erinnern, was führende Köpfe ihrer Partei an hetzerischen und vergifteten Parolen verbreiten: 

Maximilian Krah, genannt „Shampus-Max“, der gegen Flüchtlinge hetzt und der selbst bei der AfD als Rechtsaußen gilt und der vor allem auf TikTok seine homophoben Thesen verbreitet, und erklärt, dass Frauen an den Herd gehören und Kinder kriegen sollen, Beatrix von Storch, die den Einsatz von Schuss-waffen gegen Geflüchtete forderte, Alexander „Vogelschiss“ Gauland, der stolz ist auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, Jens Maier, der den Massenmord des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik rechtfertigt, und der lupenreine Faschist und Möchtegern Adolf Björn Höcke, der offen auf eine am Nationalsozialismus orientierte Gewaltherr-schaft zielt und von einem großangelegten „Remigrationsprojekt“ träumt, bei dem man nicht um „wohltemperierte Grausamkeit“ herumkommen würde …

Es besteht kein Zweifel daran, was uns droht, wenn die AfD das Sagen hat: Einschränkung der Pressefreiheit und Kontrolle der Medien, Maßnahmen gegen Geflüchtete, Ausgrenzung und Verfolgung von Andersdenkenden, Besetzung von Spitzenpositionen in den Behörden mit eigenen Leuten, Beschränkung des Verfassungsschutzes, Aufhebung von Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz, Streichung der Förderungen für zivilgesellschaftliche Initiativen, usw.

Liebe Freundinnen und Freunde: Niemand soll später sagen, wir hätten nicht gewusst, was diese Partei plant.

Es wäre aber zu einfach, das, was wir heute erleben, als Blaupause des Dritten Reiches zu verstehen, auch wenn Äußerungen der Rechtsextremen so klingen. „Es ist ein neuer Hass, es ist eine neue Hetze, eine neue Niedertracht und ein neues, immer noch gleichfalls dummes, ungebildetes, unaufgeklärtes Böses“ (Claus Eurich). Deshalb bin ich vorsichtig mit dem Nazi-Vergleich.

Es gibt noch etwas, das uns Sorgen machen sollte: Es ist ja nicht allein die von der AfD offen vertretene rechtsextremistische Ideologie. Wir sehen eine Diskursverschiebung nach rechts auch bei Parteien, die sich zum demokratischen Spektrum zählen, die aber zunehmend rechte Positionen übernehmen – und das nicht nur beim politischen Aschermittwoch. Ich meine damit zum Beispiel die Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik, ich meine die Legende vom massenhaften Sozialmissbrauch, womit Vorurteile gegen Bürgergeldempfänger geschürt werden, ich meine die grassierende Kriegsrhetorik, die unser Land und damit uns alle kriegstauglich machen soll. 

Seien wir ehrlich: Wie anfällig sind wir, auch ohne AfD-Anhänger zu sein, wenn es um unsere eigenen materiellen Besitzstände geht? Wenn unser Wohlstand und unser Lebensstandard in Frage gestellt sind? Wie steht es mit unserer Willkommenskultur für Geflüchtete, wenn wir dafür materielle Abstriche in Kauf nehmen müssen? Wie stabil oder wie gefährdet ist der zivilisatorische Konsens, der uns davor bewahrt, Hass, Missgunst und Neid auf angebliche Sündenböcke zu richten, auf Migranten, Juden, alte weiße Männer, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Klimasünder?

Liebe Freundinnen und Freunde: Demonstrieren ist gut, reicht aber nicht. Es reicht nicht, einmal zur Demo zu gehen und ein Schild hochzuhalten Es braucht einen langen Atem und kontinuierlichen Widerstand, um den braunen Sumpf trockenzulegen. Diese Ideologie darf sich nicht durchsetzen. Wir müssen als Demokratinnen und Demokraten dagegenhalten. Zeigen wir klare Kante und Zivilcourage, in den Betrieben, in der Schule, im Verein, in der Glaubensgemeinschaft – wo immer wir im Alltag den dummen Sprüchen begegnen, die oft so harmlos daherkommen, nach dem Motto: Man wird ja mal fragen dürfen…

Zum Schluss: Geht am 9. Juni wählen und erteilt mit eurer Stimmabgabe den Kandidaten und Parteien mit rechtsextremem Gedankengut eine Absage. Setzt mit uns gemeinsam ein Zeichen für Freiheit, Toleranz und Vielfalt! In unserer Gesellschaft soll kein Platz sein für Spaltung, Hass und Hetze.

Nicht wählen zu gehen, hilft den Parteien, die mit aggressiven Parolen ihre Unterstützer mobilisieren. Geht daher bitte wählen und gebt bei der Kreistags- und Europawahl eure Stimmen Parteien, von denen ihr wisst, dass sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mittragen.

Bei aller berechtigten Kritik an der Regierung: Jetzt heißt es gegen die Rechtsextremisten zusammenzustehen!

Vielen Dank


One Comment on “Nie wieder ist jetzt! Eine Ansprache”

  1. fuchs1000 sagt:

    Lieber Jürgen Lieser,

    diese Ansprache bei der Demo im Hexental ist sehr gut und überzeugend.
    Ich bedanke mich dafür und leite sie weiter. Denn sie benennt klar und
    konkret Zustände und Meinungsbilder heute, kommt ohne Spott und Häme
    aus, benennt die Sorgen, die uns zu Recht umtreiben und klammert dabei 
    kritische Fragen nicht aus an uns selbst. Also eine Rede gegen
    Vereinfachungen – ist mir das Wichtigste. Vielen Dank.

    Die Evangelientexte dieser Woche von Verhör, Machtkampf und Stimmung der
    aufgebrachten Massen bis zum Todesurteil Jesu lese ich auf dem
    Hintergrund derzeitiger Konflikte übrigens nochmal ganz neu –

    Ich wünsche Ihnen eine gute Woche und die Kraft von Ostern! Mit
    herzlichen Grüßen, Ursula Bernauer


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