Ukrainekrieg: So helfen Sie richtig!

Was hilft der Ukraine mehr: Waffen oder humanitäre Hilfe? Oder Beides? Hilfsorganisationen wie Caritas international rufen zu Spenden auf, um den vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine zu helfen (siehe https://www.caritas-international.de/home/home)

Die Bundesregierung hat bisher noch nicht zu Spenden aufgerufen, um Panzer und anderes militärisches Gerät für die Ukraine zu finanzieren. Kommt vielleicht noch. Man kann an den Deutschen Bundeswehrverband spenden, aber das ist dann für irgendwelchen Sozialklimbim und nicht für militärisches Gerät.

Wen beide Alternativen – Spenden an humanitäre Hilfsorganisationen oder an den Bundeswehrverband – nicht überzeugen, für den gibt es noch eine ganz originelle Option: Artilleriegeschosse, die für russische Ziele bestimmt sind, gegen eine Spende mit persönlichen Grußbotschaften zu versehen. Das geht über die Internetseite https://signmyrocket.com/. Dort heißt es: „You have a chance to send a greeting to orcs with your text written on an artillery shell. You will receive a photo a signed shell with your ordered text. Or you can even sign a M777 howitzer“. Für eine persönliche Grußbotschaft auf dem Haubitzengeschoss M777 muss man allerdings schon mindestens 200 Dollar hinblättern. Dafür kann man dann zum Beispiel auf ein solches Geschoss schreiben lassen: „Liebe Grüße aus dem Schwarzwald“, „Fuck you Putin“ oder „Schwerter zu Pflugscharen“ – der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Schade nur, dass die von den Geschossen Getroffenen die Botschaften gar nicht mehr lesen und sich dafür bedanken können!


Ein Jahr Ukrainekrieg und kein Ende in Sicht. Teil III: Frieden schaffen ohne Waffen?

Im dritten und letzten Teil meines Beitrags zum Ukrainekrieg möchte ich den Blick in die Zukunft lenken und fragen, wie Frieden werden kann.

In diesen Tagen, an denen sich der brutale russische Überfall auf die Ukraine jährt, wird die Debatte über den richtigen Weg zur Beendigung des Krieges intensiver. Und sie polarisiert. Zwar sind sich alle einig: Der Krieg muss beendet werden, die Waffen müssen schweigen! Oder doch nicht? Über die Bedingungen für ein Ende des Krieges gibt es unterschiedliche Auffassungen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC; die ihr Image als „Wehrkundetagung“, wie sie anfänglich hieß, nicht ganz los wird) war unisono zu hören: Die Ukraine muss gewinnen! Bis zum Sieg! Man möchte fragen: Welcher Sieg? Und: Koste es, was es wolle? Ukrainische Politiker fordern jetzt allen Ernstes die Lieferung von Streumunition und Phosphor-Brandbomben – Waffen, die aus guten Gründen international geächtet sind! Während die einen (NATO, Ukraine, Marie-Agnes Flak-Zimmermann, der neue Chef der MSC Heusgens) nach noch mehr Waffen, nach noch mehr Munition, rufen, wird auf der anderen Seite die Forderung nach einem Waffenstillstand und nach Verhandlungen lauter. Beide Positionen scheinen unversöhnlich nebeneinander zu stehen und die Gesellschaft zu spalten.

Manifeste, Petitionen, Aufrufe, Offene Briefe: Nur nützliche Idioten?

Eine Begleiterscheinung des Ukrainekrieges und des bald sich jährenden militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine sind die inzwischen zahlreichen Erklärungen, Manifeste, Aufrufe im Sinne von: Stoppt die Gewalt! Keine weiteren Waffenlieferungen! Verhandlungen jetzt!

Prominentestes – und wohl auch umstrittendstes – Beispiel ist das von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierte „Manifest für den Frieden“, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, statt weiter Waffen in die Ukraine zu liefern, für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzutreten. Das Manifest hat auf change.org bereits mehr als 560.000 Unterstützer*innen verzeichnet (Stand 20.02.2023). Ich habe lange gezögert und dann entschieden, nicht zu unterschreiben. Vieles von dem dort Gesagten ist richtig. Aber es gibt auch Verstörendes. Bei der Lektüre des Textes entsteht bei mir ein gewisses Unbehagen, weil die Dilemmata dieses Krieges, vielleicht die des Krieges überhaupt, ausgeblendet werden. Das Dilemma etwa, das darin besteht, dass zum Schweigen der Waffen und zu Verhandlungen alle am Krieg beteiligten Parteien bereit sein müssen, oder die Frage, wie der Gewalt des Aggressors Einhalt geboten werden soll, ohne selbst Gewalt anzuwenden, die wiederum Tod und Zerstörung bedeutet. Verstörend an dem Manifest ist nicht nur der unerwartet kumpelhaft daherkommende Schulterschluss zwischen der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und der umstrittenen Politikerin der Linken Wagenknecht, sondern auch der Beifall von Rechtsaußen (AfD-Co-Chef Tino Chrupalla: „Ich habe unterschrieben“).

Was mich andererseits dazu treibt, vielleicht doch zu unterschreiben, ist die teilweise giftige und polemische Kritik an dem Manifest, wie sie etwa von Heribert Münkler formuliert wurde („Manifest ist purer Zynismus“ ), oder vom ehemaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, der in seiner bekannten arrogant-krawallisch-polemischen Haudraufsprache twitterte: „Hallo ihr beide Putinschen Handlanger:Innen @SWagenknecht & #Schwarzer, euer Manifest für Verrat der Ukrainer könnt ihr zusammenrollen & gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor werfen.“

Zum Glück gibt es auch die gemäßigten, abwägenden, ruhigeren Stimmen, wie die von Heribert Prantl, der vor einer angeblichen Alternativlosigkeit hinsichtlich der militärischen Unterstützung der Ukraine warnt: „Man muss aber diskutieren, man muss um den richtigen Weg ringen, weil es um Fundamentalfragen geht. Und wenn über den richtigen Weg zum Frieden gerungen wird, darf man dabei nicht rhetorisch Krieg führen. Der Politologe Herfried Münkler nennt den Friedensaufruf „gewissenlos“. Das fällt auf ihn selbst zurück.“

Die Heftigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung um diese Petition zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft gespalten ist in der Frage, wie der Krieg beendet und Frieden erreicht werden kann. Dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Gewalt, muss nicht eigens betont werden. Aber die Abwesenheit von Gewalt, also das Schweigen der Waffen, wäre ein großer, ein notwendiger erster Schritt. Allein deshalb ist die Forderung nach einem Waffenstillstand und nach Verhandlungen nicht naiv oder realitätsfremd. In dem von mir im April 2022 initiierten Aufruf in der Badischen Zeitung „Frieden ist möglich! Europa braucht eine neue Sicherheitsarchitektur“ war diese Forderung an erster Stelle genannt. Auch der folgende Satz aus dem Aufruf ist weiterhin gültig:  „Wir glauben an die Kraft des zivilen gewaltfreien Widerstands und der zivilen Konfliktbewältigung und lehnen militärische Lösungen sowie jegliche Form gewaltsamer Unterdrückung des Freiheitswillens der Ukrainerinnen und Ukrainer ab.“

Ist es also wohlfeil, Aufrufe, Manifeste oder Petitionen zu verfassen, zu unterschreiben, zu verbreiten, wenn eigentlich klar ist, dass sich die politischen Akteure nicht davon beeindrucken lassen? Wird die Bundesregierung ihre „Mehr-Waffen-Politik“ ändern, wenn fünf Millionen Menschen statt 500.000 das Manifest für den Frieden unterschreiben? Wohl kaum. Trotz der erwartbaren Wirkungslosigkeit auf der politischen Entscheidungsbühne ist es wichtig und notwendig, der derzeit vorherrschenden Kriegsrhetorik etwas entgegenzusetzen und die Forderung nach Verhandlungen nicht von vornherein als utopisch zu diskreditieren. Auch Habermas plädiert in einem kürzlichen Beitrag vom 14.02.2023 in der SZ für Verhandlungen und bedauert den „bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht zu Worte kommen.“.

Auf Friedenskundgebungen, Demos gehen?

Ähnlich verhält es sich mit der Frage, was eigentlich Friedenskundgebungen und Demonstrationen gegen den Krieg bewirken sollen – außer vielleicht der Selbstvergewisserung, dass man auf der guten, der richtigen Seite steht. Für den 25. Februar ist eine Großdemo in Berlin angekündigt. Auch wenn ich Zweifel hege ob der Wirksamkeit solcher öffentlicher Manifestationen (anders verhält es sich in autoritär-repressiven Regimen wie Irak oder Russland) – ich würde wohl, wenn Berlin nicht so weit weg wäre von meinem Wohnort, teilnehmen. Was aber, wenn dann neben mir ein Tino Chrupalla mit Friedenstaube auf dem T-Shirt auftaucht?

Meine ersten Demoerfahrungen sind schon eine Weile her: 1968 Vietnamkrieg, 1980 gegen die Militärputsch in Bolivien (von der Stadt Bonn verboten), 1981 in Bonn gegen die Stationierung der Pershings (100.000 Teilnehmer), 22.10.1983 Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm,  15.02.2003 in Berlin gegen den Irakkrieg (500.000 Teilnehmer). Dazu die Ostermärsche ohne konkreten Anlass, aber mit der Botschaft: Frieden schaffen ohne Waffen. Keine dieser Demos hatte eine Richtungsänderung der Politik zur Folge. Kein einziger Krieg wurde dadurch verhindert. Sie waren wirkungslos, aber nicht sinnlos.

Wenn wir ehrlich sind, dann weiß heute niemand, wie im Ukrainekrieg Frieden erreicht werden kann. Weder können die Befürworter von mehr und stärkeren Waffen sicher sein, dass ihr „Kriegsziel“ – die Ukraine muss gewinnen – damit erreicht wird und nicht in einer unkontrollierten Eskalation der militärischen Auseinandersetzung mündet, die weit über die Grenzen der Ukraine hinausreicht, noch können die Befürworter eines Waffenstillstands und der Aufnahme von Verhandlungen wissen, ob die Konfliktparteien, wenn sie sich denn überhaupt darauf einlassen, an einen dauerhaften Frieden interessiert sind und sich an die Abmachungen eines Friedensabkommens halten würden – siehe Minsk-Vertrag.

Bedingungen für Friedensverhandlungen

Denn, wie Thomas Kaiser schreibt: „Wenn man den Frieden erhalten möchte und mit den Nachbarländern ein gutes Auskommen anstrebt, dann muss man auf die Sicherheitsbedürfnisse seiner Nachbarländer Rücksicht nehmen. Das ist im Falle Russlands nicht geschehen, im Gegenteil.“ (11). In der aktuellen Debatte wird immer wieder argumentiert, Russland sei an Friedensverhandlungen nicht interessiert. Gilt das nicht auch für den Westen, die NATO und die USA? In der Ukraine findet auch ein Stellvertreterkrieg statt, bei dem es gewiss nicht allein um die Ukraine geht, sondern auch um die jeweiligen geopolitischen Interessen der Großmächte USA und Russland: Seit dem Zweiten Weltkrieg war es immer die Politik der USA, zu verhindern, dass Deutschland und Russland bzw. die UdSSR enger zusammenarbeiten.“ (9) Die USA haben nie einen Hehl aus dem Ziel gemacht, „Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass sie sich dem geopolitischen Rivalen zuwenden können, der als einziger in der Lage ist, ihre Vormachtstellung als Weltmacht zu gefährden: China.“ (5)

Russland wiederum will verhindert, dass die USA eine geopolitische Überlegenheit in Europa erlangen, die die eigene Sicherheit gefährdet. Diese wechselseitigen Interessen, aber auch die darauf begründeten politischen Fehler zur Kenntnis zu nehmen, wäre ein erster notwendiger Schritt für Friedensverhandlungen. Dazu der bereits zitierte Jeffrey Sachs: „Russland ist zu Unrecht und gewaltsam in die Ukraine eingedrungen. Die USA haben unrechtmäßig den Sturz Janukowitschs im Jahr 2014 konspirativ gepusht und die Ukraine anschließend schwer bewaffnet, während sie die Nato-Erweiterung vorantrieben, um Russland im Schwarzen Meer einzukreisen. Nach dem Sturz Janukowitschs weigerten sich die ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj, das Minsk-II-Abkommen umzusetzen.

Der Frieden wird eintreten, wenn die USA von einer weiteren Nato-Erweiterung in Richtung der russischen Grenzen Abstand nehmen, Russland seine Streitkräfte aus der Ukraine abzieht und von der einseitigen Annexion ukrainischen Territoriums Abstand nimmt. Ebenso muss die Ukraine ihre Versuche beenden, die Krim zurückzuerobern, und den Minsk-II-Rahmen akzeptieren. Alle Parteien müssen sich bereit erklären, die souveränen Grenzen der Ukraine im Rahmen der UN-Charta zu sichern, garantiert durch den UN-Sicherheitsrat und andere Nationen.“ (7)

Keine Angst vor Friedensverhandlungen

Wie könnte man sich also einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine vorstellen? Dazu gibt es einen Lösungsvorschlag einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern vom Juni 2022, der unter der Überschrift „Keine Angst vor Friedensverhandlungen“ die folgenden „Richtgrößen“ für einen Waffenstillstand und ein positives Friedensabkommen vorschlägt (18):

  • „Neutralität der Ukraine, d. h. der Verzicht auf den staatlichen Ehrgeiz, der Nato beizutreten, bei gleichzeitiger Anerkennung der Freiheit der Ukraine, Abkommen mit der Europäischen Union und anderen abzuschließen;
  • Sicherheitsgarantien für Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine durch die fünf ständigen Mitglieder der Vereinten Nationen (P-5: China, Frankreich, Russland, Großbritannien und Vereinigte Staaten) sowie der Europäischen Union und der Türkei, was militärische Transparenz und Beschränkungen der Stationierung von Militär und großangelegter Übungen in Grenzgebieten unter internationaler Beobachtung im Zusammenhang mit der Aufhebung von Wirtschaftssanktionen beinhalten könnte;
  • Russische De-facto-Kontrolle der Krim für einen Zeitraum von Jahren, danach würden die Parteien auf diplomatischem Weg eine dauerhafte De-jure-Lösung anstreben, die den erleichterten Zugang für lokale Gemeinschaften sowohl zur Ukraine als auch zu Russland, eine liberale Grenzübergangspolitik für Personen und Handel, die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte und finanzielle Entschädigungen einschließen könnte;
  • Autonomie der Regionen Lugansk und Donezk innerhalb der Ukraine, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Aspekte einschließen könnte, die kurzfristig genauer festgelegt werden;
  • Garantierter wirtschaftlicher Zugang sowohl der Ukraine als auch Russlands zu den Schwarzmeerhäfen beider Länder;
  •  die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland verknüpft mit dem Rückzug des russischen Militärs gemäß dem Abkommen;
  • Einen multilateralen Fonds für Wiederaufbau und Entwicklung der vom Krieg gezeichneten Regionen der Ukraine – an dem auch Russland beteiligt ist – und sofortigen Zugang für humanitäre Hilfe;
  • Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Bereitstellung internationaler Überwachungsmechanismen zur Unterstützung des Friedensabkommens.“

Selbst wenn man den Autoren und Autorinnen dieser Erklärung (leider ist unter den Erstunterzeichnern die rissische Seite nicht vertreten) nicht in allen Punkten zustimmen mag: So oder so ähnlich könnte ein Friedensabkommen skizziert werden. Über Details müssten sich die Verhandlungspartner verständigen. Und es müsste eine von beiden Konfliktparteien akzeptierte neutrale Verhandlungsinstanz gefunden werden, die darüber wacht, dass die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt werden. Frieden ist möglich!

Quellen:

  1. Richard David Precht / Harald Welzer: Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer Verlag Frankfurt 2022
  2. Wikipedia: Russisch-Ukrainischer Krieg, aufgerufen am 27.01.2023;  https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Ukrainischer_Krieg
  3. Jürgen Habermas: Das Dilemma des Westens. Süddeutsche Zeitung 28.04.2022 https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/das-dilemma-des-westens-juergen-habermas-zum-krieg-in-der-ukraine-e068321/?reduced=true
  4. Margot Käßmann · Konstantin Wecker (Hg.): Entrüstet Euch! Von der bleibenden Kraft des Pazifismus. Bene! Verlag 2022
  5. Interview mit General a. D. Harald Kujat, in: Zeitgeschehen im Fokus, hrsg. Vom Verein «Zeitgeschehen im Fokus» | Postfach | 8305 Dietlikon, Nr. 1 vom 18.01.2023) https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/home-ausgabe-10.html
  6. Heribert Prantl, Prantls Blick; Süddeutsche Zeitung vom 22.01.2023
  7. Jeffrey Sachs: Frieden in der Ukraine ist möglich. So könnte er aussehen. In: Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.
  8. Die Bundesregierung: Krieg in der Ukraine: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine
  9. Die Samen des Misstrauens. Russland und der Westen während Jelzin und Clinton. Ein Feature von Andreas von Westphalen. Deutschlandfunk 08.06.2021 Russland und der Westen während Jelzin und Clinton – Die Samen des Misstrauens | hoerspielundfeature.de
  10. Interview mit Jaques Baud in „Schweizer Standpunkt“
  11. Thomas Kaiser: Die Mitverantwortung des Westens am Ukraine-Krieg(Aus: Zeitgeschehen im Fokus, hrsg. Vom Verein «Zeitgeschehen im Fokus» | Postfach | 8305 Dietlikon, Nr. 1 vom 18.01.2023) https://seniora.org/politik-wirtschaft/die-mitverantwortung-des-westens-am-ukraine-krieg
  12. Andreas Zumach: Ukraine – Wie weiter? Analyse eines Friedensjournalisten. In: Pax Zeit 3/22, S. 4- 6
  13. Hiroshima und Nagasaki grüßen Stuttgart. Wie wir in Stuttgart über EUCOM und ECCU in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden. Flugblatt des Friedenstreff Bad Cannstatt ohne Datum
  14. Statista vom 11.05.2022; Florian Zandt, Fasst die NATO auch im Norden Fuß?
  15. Bundeszentrale für politische Bildung / Hintergrund Aktuell: NATO-Osterweiterung https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/506585/nato-osterweiterung/
  16. Bundeszentrale für politische Bildung: NATO-Osterweiterung: Die Legende von gebrochenen westlichen Versprechen https://www.bpb.de/themen/europa/years-of-change/342283/nato-osterweiterung-die-legende-von-gebrochenen-westlichen-versprechen/
  17. Michael Thuman: NATO-Osterweiterung: Der Mythos vom falschen Versprechen; ZEIT online vom 21.01.2022 https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-01/ukraine-konflikt-nato-osterweiterung-russland
  18. Erklärung: Keine Angst vor Friedensverhandlungen https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/285535/erreichen-eines-gerechten-und-dauerhaften-friedens-in-der-ukraine-deutsch.pdf
  19. Wikipedia-Eintrag: NATO-Osterweiterung https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung
  20. Andreas Zumach_ NATO-Osterweiterung. Wer wem wann was in den 1990er Jahren versprach, und warum diese Frage bis heute relevant ist. _ Lebenshaus Schwäbische Alb, 26.01.2022 https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/013999.html#gsc.tab=0

Weisheiten des Häuptlings Jorge vom Stamme der Moselfranken

Achtung Spionage?

Nicht jede weiße Kugel am Himmel ist ein chinesischer Spionageballon. Lieber zweimal hinschauen und nicht gleich abschießen: Es könnte auch ein großer Käse sein!

Auf die Haltungsform achten!

Wenn ihr eure alten Eltern schon ins Heim geben müsst, dann achtet auf das Gütezeichen. Mindestens Haltungsform 2 sollte es schon sein. Auf dieser Stufe steht mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben zur Verfügung und es gibt Zugang zu Beschäftigungsmaterial. Bei Haltungsstufe 3 käme noch Futter ohne Gentechnik auf den Tisch. Das sollte euch die Oma schon Wert sein.

Antikriegsnahrung Nutella

Wer sich ausschließlich von Nutella* ernährt, kann keinen Krieg anfangen

*enthält die fünf lebenswichtigen Grundnahrungsmittel Gröbeldisolfat, Schuripengoxid, Ladivatrugel, Resiköladistram und Schokolade (und das ist alles nur geklaut …)


Ein Jahr Ukrainekrieg und kein Ende in Sicht (II): Von Demütigungen, Versprechungen und angeblichen Lügen

In diesem zweiten Teil zum Ukrainekrieg – der erste Teil wurde am 4. Februar veröffentlicht – möchte ich den Blick auf mögliche Ursachen und Beweggründe für den Krieg lenken und auf die Frage, ob der Krieg hätte verhindert werden können. Beim Recherchieren ist mir allerdings schnell klar geworden, dass man sich damit auf recht dünnes Eis begibt. Und wirklich umfassend und erschöpfend kann ich das nicht darstellen. Viele Fragen, die ich eigentlich bearbeiten wollte, muss ich offen lassen, wie zum Beispiel: Warum ist das Minsk-Abkommen von 2015 gescheitert? Warum wurden die Istanbul-Verhandlungen vom März 2022 abgebrochen? Warum gibt es keine erkennbaren diplomatischen Bemühungen für Friedensverhandlungen?

Natürlich bleibt die Frage nach dem „Was wäre gewesen, wenn …“ letztlich hypothetisch. Dennoch kann es hilfreich sein, mindestens die historischen Fakten und die Entwicklung seit dem Ende des Kalten Krieges genauer in den Blick zu nehmen. Denn das „kurze Gedächtnis der heutigen Kontroversen“ (3) reicht nicht aus, um die aktuellen Ereignisse zu verstehen.

(Anmerkung: Die Zahlen in Klammern verweisen auf die Quellen am Ende des Textes)

Putin: Psychisch krank oder rational kalkulierender Machtmensch?

Nicht beteiligen möchte ich mich an fragwürdigen, eher von der Krawallpresse geschürten Spekulationen  à la „Putin ist ein psychisch kranker Mann, der ein russisches Imperium aufbauen will“ wie es zum Beispiel Vitali Klitschko in einem Gespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) geäußert haben soll. Die Ursachen für den Ukrainekrieg allein in dem „Persönlichkeitsbild eines wahnhaft getriebenen Geschichtsnostalgikers“ zu suchen, wie es Habermas formuliert, kann „kaum die ganze Wahrheit über seinen Charakter widerspiegeln … und bedarf wenigstens des Abgleichs mit einer rationalen Einschätzung seiner Interessen“ (3).

Der rational kalkulierende Machtmensch Putin weiß offenbar genau, wie sehr ihm die Hinwendung zu westlichen Werten und Lebensformen sowohl in Russland als auch in der Ukraine und Belarus, die Widerstandsbewegungen gegen Bevormundung und Unterdrückung und der politische Protest in der eigenen Gesellschaft gefährlich werden können. Ob aus persönlicher Überzeugung oder rein machtpolitischem Kalkül: Die in der russischen Gesellschaft offenbar verbreitete Homophobie, die Ablehnung homosexuellen Lebens und der LGBTQ-Bewegung als Ausdruck westlicher Dekadenz nutzt Putin geschickt aus, um gegen den Westen Stimmung zu machen und damit den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen (23). Die Angst vor Machtverlust könnte demnach ein starkes Motiv für den russischen Präsidenten sein.

Demütigung Russlands durch den Westen

Neben dem nüchternen Machtkalkül dürften bei Putin das Trauma des Untergangs der Sowjetunion sowie persönlich empfundene Kränkungen und Demütigungen eine Rolle gespielt haben. Auf diesen Aspekt verweist Roger Cohen hin: „Aus der Perspektive seines rücksichtslosen Glücksspiels in der Ukraine ergibt sich das Bild eines Mannes, der fast jeden Schachzug des Westens als Kränkung gegen Russland – und vielleicht auch gegen sich selbst – aufgriff.“ (22).Dass die Sicherheitsinteressen Russlands nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes aus der Sicht Russlands nicht ernstgenommen wurden, hatte bereits Boris Jelzin im Mai 1995 bei einem Treffen mit Clinton in Moskau beklagt und von einer „Demütigung“ Russlands durch die Idee der NATO-Erweiterung gesprochen“ (9). Warum Putin „vom Staatsmann zum Tyrannen“ wurde, bleibt letztlich unbeantwortet: „Haben die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, aus übermäßigem Optimismus oder aus Naivität, Putin von Anfang an falsch eingeschätzt? Oder ist er erst im Laufe der Zeit zu dem revanchistischen Kriegstreiber von heute geworden, sei es wegen vermeintlicher westlicher Provokationen, zunehmender Kränkungen oder schwindelerregender Berauschtheit nach langer und – seit Corona – zunehmend isolierter Alleinherrschaft?“ fragt Theo Sommer in der ZEIT vom 12.04,2022 (21).

Nach dem Kalten Krieg: Neue Sicherheit zwischen Ost und West?

Im gleichen ZEIT-Artikel schreibt Theo Sommer: „Putins 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz vorgebrachte Anregung zum Dialog über eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur wurde nie aufgegriffen. Es bleibt ein folgenreicher Fehler, Russland nicht in ein übergreifendes Arrangement eingebunden zu haben. Eine Rechtfertigung des Angriffs- und Vernichtungskrieges gegen die Ukraine sind diese westlichen Unterlassungen jedoch in keiner Weise“ (21). Dabei hatte es nach dem Ende des Kalten Krieges (1989), dem Zusammenbruch der Sowjetunion (1991) und der Auflösung des Warschauer Paktes (1991) in den Jahren 1989 bis 1994 gute Ansatzpunkte für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa gegeben. Die Entwicklung, die ab Mitte der 1990iger Jahre dann doch anders verlief und in einem zunehmenden Misstrauen zwischen den beiden Machtblöcken mündete, ist detailliert und mit Originalzitaten aus Gesprächen zwischen Boris Jelzin und Bill Clinton nachgezeichnet in einem Radio-Feature des Deuschlandfunks „Die Samen des Misstrauens. Russland und der Westen während Jelzin und Clinton“ (9). Über die hoffnungsvollen Anfangsjahre werden dort zwei Wissenschaftler zitiert: „Es gab damals die Möglichkeit einer besseren Zukunft für ganz Europa inklusive der post-sowjetischen Republiken“ (Prof. Mary Elise Sarotte, Center for European Studies an der Universität Havard,  im Feature) und „Tatsächlich haben die USA, die wichtigen europäischen Mächte und Russland versagt. Sie alle haben es versäumt, einen angemessenen Platz für Russland in dieser neu entstehenden Architektur Europas zu finden“ (Prof. Vladimir Baranovsky, Stellvertretender Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen Moskau) (9).

Ähnlich sieht es auch Andreas Zumach: „Entgegen dem im Westen verbreiteten Narrativ begann die Verschlechterung der Beziehungen nicht erst mit Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim im März 2014, sondern bereits mit der NATO-Osterweiterung, die ab 1996 vollzogen wurde. Es wurde das Versprechen gebrochen, das US- Außenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow Anfang Februar 1990 nachweislich gegeben hatten. Die Osterweiterung war ein schwerer historischer Fehler der NATO.“ (20)

Die NATO-Osterweiterung: Propagandalüge oder reale Bedrohung?

Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) wurde 1949 gegründet. Mit der NATO-Osterweiterung ist der Beitritt von Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes zur NATO gemeint, darunter auch die ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken im Baltikum und von Nachfolgestaaten des blockfreien Jugoslawiens (14). Einzelne Politikwissenschaftler wie die Militärexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (die mit ihrer bellizistischen Kriegsrhetorik ihrem Namen alle Ehre macht) halten bereits die Verwendung des Begriffs „NATO-Osterweiterung“ für falsch, weil es sich dabei um russische Propaganda und ein Narrativ handle, das von Russland zur Rechtfertigung des Ukrainekrieges verwendet wird. Es sei nämlich nicht die NATO gewesen, die sich nach Osten erweitert habe, sondern die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, die baltischen Länder und die Nachfolgestaaten Jugoslawiens hätten auf eine Aufnahme in die NATO gedrängt (19). Nach dieser Logik outet sich also jemand, der von der NATO-Osterweiterung spricht, ohne diesen Begriff zumindest in Anführung zu setzen, bereits als Russland-Versteher.

Natürlich ist es nicht unerheblich, wer den aktiveren Part bei der Aufnahme neuer NATO-Mitglieder hatte. Fakt ist: Die NATO-Osterweiterung erfolgte zwischen 1999 und 2020 in fünf Schritten: 1999 (Polen, Tschechien, Ungarn), 2002 (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien), 2009 (Albanien, Kroatien), 2017 (Montenegro) und 2020 (Nordmazedonien). Beitrittskandidaten sind Bosnien und Herzegowina. Der Ukraine und Georgien wurde 2008 eine Mitgliedschaft in der Zukunft angeboten, der förmliche Aufnahmeprozess hat aber noch nicht begonnen. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, wie die NATO im Verlaufe dieses Prozesses immer näher an die russische Westgrenze herangerückt ist. Und dass diese Erweiterung allein schon geografisch von Russland als Bedrohung verstanden werden konnte und kann, ist offenkundig. Auch wenn die NATO stets betont, ein Verteidigungsbündnis zu sein und keine aggressiven Absichten gegenüber Russland zu hegen: Seit dem erstmaligen militärischen Eingreifen der NATO im Bosnien-Krieg (1995) und im Kosovo (1999) ist die Glaubwürdigkeit der NATO in dieser Hinsicht brüchig geworden.

In den ersten Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges gab es im Pentagon wenig Interesse an einer NATO-Osterweiterung. Stattdessen plädierte man für eine „Partnership for Peace (PfP“ (9). Bill Clinton hatte sich noch 1993 gegen Pläne für eine NATO-Erweiterung ausgesprochen. Stattdessen rief er 1994 die „Partnerschaft für den Frieden“ ins Leben, die am 10.01.1994 beschlossen wurde und an der auch Russland beteiligt war (15). 

Allerdings gab es bereits seit 1993 Bestrebungen der Tschechischen Republik und Polens um eine Aufnahme in die NATO. Beide Länder hatten aufgrund historischer Erfahrungen Angst vor Russland. Jelzin äußerte in einem Brief an Clinton am 15.09.1993 sein Unbehagen über die Pläne zur NATO-Osterweiterung und brachte die Möglichkeit ins Spiel, dass Russland der NATO beitreten könnte! (9). Im Frühjahr 1994 fasste der US-Kongress den Beschluss zur NATO-Osterweiterung („NATO Expansion Act“), der den Präsidenten autorisierte, Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei bis 1999 beim Übergang zu einer NATO-Mitgliedschaft zu unterstützen. Jelzin fühle sich getäuscht, er hatte angenommen, dass wegen der PfP eine mögliche NATO-Erweiterung zunächst zurückgestellt sei (9). Clinton stand unter starkem innenpolitischem Druck durch die Republikaner, die seine Politik der Annäherung an Russland ablehnten. Auch Jelzins Politik der Öffnung gegenüber dem Westen hatte in Russland viele Gegner.  

Die NATO-Grundakte von 1997

Die Partnerschaft für den Frieden mündete 1997 in der NATO-Grundakte. Es war der Versuch, das Verhältnis zwischen Russland und der NATO zu entspannen und einen Ausgleich zwischen den sicherheitspolitischen Bedürfnissen der beiden Blöcke zu finden. Beide Seiten bekannten sich zum Verzicht auf Gewalt, zu gegenseitigen Konsultationen und zur friedlichen Lösung von Konflikten: Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken.“ (9) Der NATO-Russland-Rat wurde als gemeinsames Konsultationsforum eingerichtet. Kurz danach, im Juli 1997, beschloss der NATO-Gipfel in Madrid die Osterweiterung und bot Ungarn, Polen und Tschechien Beitrittsverhandlungen an. Im März 1999 griff die NATO im Kosovo-Konflikt militärisch ein und bombardiert Belgrad, was von russischer Seite als Brüskierung und Verletzung der NATO-Grundakte angesehen wurde. Russland seinerseits verstieß im (Zweiten) Tschetchenienkrieg (1999), im Georgienkrieg (2008) und 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und schließlich 2022 mit dem Angriff auf die Ukraine gegen das in der Grundakte garantierte Recht aller Staaten auf territoriale Unversehrtheit.

NATO-Osterweiterung: Hat der Westen Russland getäuscht?

Die NATO-Osterweiterung wird von russischer Seite als einer der wesentlichen Gründe für den Ukrainekrieg angeführt. Russland ist der Meinung, dass der Westen der Sowjetunion 1990 zugesagt hat, die NATO nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu erweitern.  Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 kritisierte Putin das seiner Meinung nach gebrochene Versprechen: „Die Garantien, die uns gegeben wurden, wurden nicht eingehalten …Mit ´Garantien` verwies Putin auf die angeblich an Michael Gorbatschow 1990 mündlich gegebenen Zusagen, auf eine weitergehende Verlegung der NATO-Grenzen nach Osten zu verzichten“ (19). Kurz vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat Putin erneut auf die Zusagen von 1990 verwiesen und dass ein möglicher NATO-Beitritt der Ukraine eine direkte Bedrohung für die Sicherheit Russlands sei (15).

Westliche Medien und Wissenschaftler bezeichnen dieses „angebliche Versprechen“ als „politisch wohl folgenreichste Legende jener Zeit“, die „mittlerweile zum festen Bestandteil der russischen Argumentation“ gehöre (17). Es lohnt sich, an diesem Punkt genauer hinzuschauen, was 1990 versprochen wurde und was nicht, weil diese Frage bis heute relevant ist. Das im Detail genauer auszuführen, würde allerdings den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Ich verweise deshalb auf zwei ausführliche Publikationen dazu: Die Analyse des Deutschen Bundestags von 2016 (Zur öffentlichen Diskussion über Anfang der 1990er Jahre
möglicherweise getroffene Zusagen westlicher Spitzenpolitiker zu einem Verzicht auf eine NATO-Osterweiterung
), und auf den Beitrag von Andreas Zumach: Wer wem wann was in den 1990er Jahren versprach, und warum diese Frage bis heute relevant ist (20).

Kurz zusammengefasst lässt sich sagen: Ja, es gab Äußerungen unter anderem des damaligen Außenministers Genscher und seines US-Amtskollegen Baker, die als „Bereitschaft ausgelegt worden sein können, die NATO nicht in Richtung Osten zu erweitern“. Aber: Vereinzelte mündliche Aussagen, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, „entfalten …keine völkerrechtliche Verbindlichkeit“. (15). Worauf beziehen sich diese Aussagen? Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Genscher und Baker am 2. Februar 1990 sagte Genscher: „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, sondern das gilt ganz generell“ 16). Kurz vorher, am 31. Januar 1990, hatte Genscher sich bei einem Vortrag in der Akademie Tutzing ähnlich geäußert: „Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben…“ (19).

Dazu der Journalist und Buchautor Andreas Zumach: „Für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, dass US-Außenminister James Baker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei ihren Moskauer Gesprächen mit Michael Gorbatschow und Eduard Schewardnadse Anfang Februar 1990 das Versprechen gegeben haben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Entsprechend haben sich damals auch andere Regierungsmitglieder und Diplomaten der USA, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Großbritanniens sowie der damalige NATO-Generalsekretär Wörner geäußert sowohl gegenüber der Regierung in Moskau wie gegenüber Regierungen in ost-/mitteleuropäischen Staaten wie Polen und der CSSR als auch öffentlich. Dafür gibt es zahlreiche Belege und Zeugen.“ (20)

Während sich die russische Regierung auf dieses Versprechen beruft, wird es vom Westen relativiert „als nicht so gemeint, und weil nirgends schriftlich festgehalten, für obsolet erklärt. Unstrittig ist, dass Helmut Kohl seinem Partner Michail Gorbatschow gegenüber davon sprach, dass die Wiedervereinigung Deutschlands keineswegs eine Ausdehnung des Atlantischen Bündnisses in Richtung Osten bedeute“ (3).

Bleibt allerdings die Frage, warum diese Zusicherungen nicht schriftlich festgehalten wurden und warum zum Beispiel Gorbatschow später behauptete, es habe solche Zusicherungen gar nicht gegeben. Ich stimme Andreas Zumach zu, dass diese Vorgeschichte berücksichtigt werden muss, wenn die Konfrontationseskalation beendet und umgekehrt werden soll: „Es geht nicht darum, ob sich jemand heute im formalen Sinn an eine vor 31 Jahren gegebene politische Zusage gebunden fühlt und welche Parteien damals in Bonn und heute in Berlin regieren, ist dabei irrelevant. Es geht darum, ob in Berlin, Washington, Paris, London und anderen Hauptstädten endlich die Einsicht wächst, dass die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland eben nicht erst mit den Gewaltkonflikten in der Ukraine ab 2014 begann, sondern dass die ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre vollzogene Osterweiterung der NATO und dann auch noch die Absichtserklärung des NATO-Gipfels 2008 zur Aufnahme der Ukraine und Georgiens eine wesentliche Vorgeschichte dieser Konflikte sind. Wer die fatale Dynamik der Konfrontationeskalation zwischen Moskau und dem Westen endlich beenden und umkehren will, muss diese Vorgeschichte mitberücksichtigen“. (20)

Falls ich noch einen dritten und letzten Teil meines Beitrags zum Ukrainekrieg zustandebekomme, dann möchte ich den Blick in die Zukunft lenken und fragen, wie Frieden werden kann.

Quellen:

  1. Richard David Precht / Harald Welzer: Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer Verlag Frankfurt 2022
  2. Wikipedia: Russisch-Ukrainischer Krieg, aufgerufen am 27.01.2023 https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Ukrainischer_Krieg )
  3. Jürgen Habermas: Das Dilemma des Westens. Süddeutsche Zeitung 28.04.2022
  4. Margot Käßmann · Konstantin Wecker (Hg.): Entrüstet Euch! Von der bleibenden Kraft des Pazifismus. Bene! Verlag 2022
  5. Interview mit General a. D. Harald Kujat, in: Zeitgeschehen im Fokus, hrsg. Vom Verein «Zeitgeschehen im Fokus» | Postfach | 8305 Dietlikon, Nr. 1 vom 18.01.2023) https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/home-ausgabe-10.html
  6. Heribert Prantl, Prantls Blick; Süddeutsche Zeitung vom 22.01.2023
  7. Jeffrey Sachs: Frieden in der Ukraine ist möglich. So könnte er aussehen. In: Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.
  8. Die Bundesregierung: Krieg in der Ukraine: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine
  9. Die Samen des Misstrauens. Russland und der Westen während Jelzin und Clinton. Ein Feature von Andreas von Westphalen. Deutschlandfunk 08.06.2021 Russland und der Westen während Jelzin und Clinton – Die Samen des Misstrauens | hoerspielundfeature.de
  10. Interview mit Jaques Baud in „Schweizer Standpunkt“
  11. Thomas Kaiser: Die Mitverantwortung des Westens am Ukraine-Krieg(Aus: Zeitgeschehen im Fokus, hrsg. Vom Verein «Zeitgeschehen im Fokus» | Postfach | 8305 Dietlikon, Nr. 1 vom 18.01.2023)
  12. Andreas Zumach: Ukraine – Wie weiter? Analyse eines Friedensjournalisten. In: Pax Zeit 3/22, S. 4- 6
  13. Hiroshima und Nagasaki grüßen Stuttgart. Wie wir in Stuttgart über EUCOM und ECCU in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden. Flugblatt des Friedenstreff Bad Cannstatt ohne Datum
  14. Statista vom 11.05.2022; Florian Zandt, Fasst die NATO auch im Norden Fuß?
  15. Bundeszentrale für politische Bildung / Hintergrund Aktuell: NATO-Osterweiterung
  16. NATO-Osterweiterung: Die Legende von gebrochenen westlichen Versprechen
  17. NATO-Osterweiterung: Der Mythos vom falschen Versprechen
  18. Erklärung: Keine Angst vor Friedensverhandlungen
  19. Wikipedia-Eintrag: NATO-Osterweiterung https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung
  20. Andreas Zumach_ NATO-Osterweiterung. Wer wem wann was in den 1990er Jahren versprach, und warum diese Frage bis heute relevant ist. _ Lebenshaus Schwäbische Alb, 26.01.2022
  21. Theo Sommer: Die Entspannungspolitik war keine Lebenslüge. In: Die Zeit vom 12.04.2022
  22. Roger Cohen: The Making of Wladimir Putin, in: The New York Times, 26.03.2022, in einer (fehlerhaften) deutschen Übersetzung bei: https://alb-spirit.com/2022/03/27/roger-cohen-making-vladimir-putin/
  23. Jerofejew Viktor: „Spezialoperation“, im Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 2.2.2023
  24.  Andreas Zumach: Russland, die Ukraine und der Westen – Wege aus der Konfrontation, kurzfristig und auf längere Sicht. Lebenshaus Schwäbische Alb 20.01.2022,  https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/013988.html

Ein Jahr Ukrainekrieg und kein Ende in Sicht. Persönliche Anmerkungen ohne Gewähr auf Wahrheit

Eins vorweg: Eben mal kurz geht nicht

Einen Blogbeitrag zum Ukrainekrieg mal eben so auf die Schnelle zu schreiben, ist eigentlich unmöglich. Zu viele widersprüchliche Informationen, zu viele Dilemmata, zu viele Zweifel, zu viele offene Fragen. Und womit soll man anfangen? Mit der unübersichtlichen militärischen Lage? Dass Deutschland jetzt doch Kampfpanzer liefert? Warum es überhaupt zum Krieg gekommen ist? Hätte der Krieg vermieden werden können? Und wer welche Interessen verfolgt? Gibt es dazu objektive Fakten oder nur interessengeleitete Meinungen? Welche Quellen sind vertrauenswürdig? Und überhaupt die Medien: Welche berichten unabhängig und unbeeinflusst vom angeblichen Zwang zum Mainstream, um mal die steile These von Precht/Welzer zu zitieren (1)?  Wessen Interpretation der Ereignisse ist die wahre? Vor diesem Wust von Fragen kann man eigentlich nur kapitulieren (ein Begriff aus dem Wörterbuch der Kriegsführung).

Ich versuche es trotzdem. Die Leserin/der Leser sei gewarnt: Kurz kann dieser Beitrag nicht ausfallen. Ich werde ihn deshalb in zwei Teile aufteilen. Trotzdem wird dem Leser/der Leserin eine gewisse Ausdauer abverlangt. Ich kann aber versichern, dass die Zeit, die man / frau zum Lesen benötigt, weit geringer ist als die Zeit, die ich zum Recherchieren, Nachdenken, Abwägen und schließlich Niederschreiben gebraucht habe. Und noch etwas: Wirklich sinnvoll strukturiert ist dieser Beitrag auch nicht. Sorry, aber dafür hätte ich nochmal so viel Zeit gebraucht, um das Ganze in eine sach- oder chronologische Abfolge zu bringen. Wer es genauer wissen will, der oder die möge den ausführlichen, mit 853 (!) Einzelnachweisen hinterlegten Wikipedia-Eintrag zum Ukrainekrieg lesen (2). Da sitzt Ihr aber dann Tage dran.

(Die im Text in Klammern gesetzte Zahlen beziehen sich auf die Quellen, die ich verwendet habe und die am Ende des Beitrags aufgeführt sind).

Was Konsens ist: Der Angriff auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig

Nun also, nach dieser schon langen Vorrede, in medias res. Um mit etwas Einfachem anzufangen, und worüber trotz unterschiedlicher Standpunkte Konsens bestehen dürfte: Der Angriff Russlands auf die Ukraine war und ist ein massiver Bruch des Völkerrechts und durch nichts zu rechtfertigen. Das gilt trotz des bei manchen Zeitgenossen reflexhaft einsetzenden „Whataboutism“, wonach auch der Westen, was völkerrechtswidrige Interventionen anbetrifft, keine reine Weste habe (Syrien, Irak, Jugoslawien). Das kann aber nicht als Entschuldigung herhalten, weder für Russland noch für jede andere militärische Intervention, die nicht als sog. „humanitäre Intervention“ zum Schutz der Menschenrechte legitim und nach Völkerrecht sogar legal wäre. Und es gilt selbst dann, wenn man dem russischen Narrativ von der Bedrohung durch die bis an ihre Grenzen herangerückte NATO etwas abgewinnen kann.

Neben der sachlichen Bewertung des russischen Angriffskrieges als völkerrechtswidrig gibt es die moralische, ja sogar die emotionale Ebene. Habermas hat dazu in einem Beitrag in der SZ vom 28.04.2022 von der „emotional ergriffenen Außenministerin“ Baerbock geschrieben, die zur „Ikone“ geworden sei, und gemeint: „Der rationale Hintergrund, vor dem diese Emotionen landesweit aufwallen, ist die selbstverständliche Parteinahme gegen Putin und eine russische Regierung, die einen massiven völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vom Zaune gebrochen haben und die mit ihrer systematisch menschenverachtenden Kriegführung gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen.“ (3). Ich finde, dass beide Ebenen ihren Platz haben sollten: Die nüchterne, sachliche Analyse des Kriegsgeschehens, aber auch Empörung und Abscheu über das alltägliche Grauen des Krieges. Wobei vor lauter Empörung die Fakten nicht aus den Augen verloren werden sollten.

Und was ist von unserem Pazifismus geblieben?

Im gleichen Beitrag spricht Habermas davon, dass die Realität des Krieges uns aus unseren „pazifistischen Illusionen herausgerissen hat, wobei er die jüngere Generation meint, die die Folgen des Krieges nicht mehr unmittelbar erlebt hat. Wir Alten aber tun uns schwer, uns von der „bleibenden Kraft des Pazifismus“ zu verabschieden – so der Untertitel des von Margot Käßmann und Konstantin Wecker herausgegebenen Buches „Entrüstet Euch!“ (4). Deutschland beteiligt sich am Kriegsgeschehen durch die Lieferung von Waffen, will sich aber nicht als Kriegspartei verstanden wissen (dazu später mehr) – ein Spagat, der erklärungsbedürftig ist. General a.D. Harald Kujat verweist in einem Interview auf das Grundgesetz, das „in seiner Präambel ein striktes Friedensgebot für unser Land (hat). Das Grundgesetz toleriert die Unterstützung einer Kriegspartei also nur dann, wenn diese geeignet ist, eine friedliche Lösung zu ermöglichen. Die Bundesregierung ist deshalb in der Pflicht, der deutschen Bevölkerung zu erklären, innerhalb welcher Grenzen und mit welchem Ziel die Unterstützung der Ukraine erfolgt.“ (5). Ähnlich argumentiert Heribert Prantl, für den „in der Debatte um das Für und Wider von immer mehr deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine (…) das Grundgesetz und sein Friedensgebot kaum eine Rolle“ spielt (6).

Jetzt also Kampfpanzer. Und wohin soll das führen?

Deutschland liefert Leopard-Panzer – das ist die Schlagzeile dieser Tage. Auch andere Länder, allen voran die USA, beteiligen sich an der weiteren militärischen Aufrüstung der Ukraine. Wohin soll das führen? Was kommt als Nächstes? Kaum ist die Panzer-Entscheidung gefallen, wird schon über Kampfjets diskutiert. Was mit homöopathischen Dosen begann – 5.000 Schutzhelme – hat sich inzwischen zu einer massiven militärischen Unterstützung ausgeweitet. Was genau soll mit den Waffenlieferungen an die Ukraine erreicht werden? Welchem Zweck sollen die westlichen Waffen dienen, fragt nicht nur Kujat (5). Darauf hätte man gerne eine Antwort: Sollen sie den Krieg beenden, verkürzen, der Ukraine zum Sieg verhelfen, wenn ja, zu welchem Sieg? Ob diese Unterstützung den Krieg verlängert oder verkürzt, ob sie zu einer militärischen Eskalation bis hin zur Gefahr eines Dritten Weltkrieges mit dem Einsatz von Atomwaffen führt – niemand weiß das wirklich.

Gleichzeitig heißt es: Deutschland darf nicht zur Kriegspartei werden. Die Frage nach dem politischen Ziel scheint zunehmend in den Hintergrund rücken. Das militärische Ziel heißt: Die Ukraine darf nicht verlieren. Manche sagen auch: Die Ukraine muss siegen. Das ist mehr als nur ein semantischer Unterschied. Besonders bei der Prämisse „die Ukraine muss siegen“ wäre zu definieren, wann dieser Zustand denn erreicht wäre: Wenn die russischen Invasionstruppen auf den Stand vom 23. Februar 2022 zurückgedrängt sind? Wenn die russisch besetzten Gebiete im Donbass zurückerobert sind? Wenn die Krim zurückerobert ist?

Und was bedeutet „die Ukraine darf nicht verlieren“? Welcher mögliche Ausgang des Krieges ist damit gemeint bzw. nicht gewollt? Wenn statt bisher 20 Prozent 30 oder 40 Prozent der Ukraine von Russland besetzt sind, oder sogar noch mehr? Die vollständige Niederlage und Kapitulation, wenn also Selenskyj und seine Regierung durch ein russlandfreundliches Regime ersetzt sind und die ukrainischen Streitkräfte kapituliert haben? Russland würde dann vermutlich zunächst als Besatzungsmacht die Kontrolle über das Land ausüben (dafür gibt es klare völkerrechtliche Regelungen). Denkbar wäre auch eine vollständige Annexion der Ukraine und eine Angliederung an Russland als sog. Einheit der russischen Föderation (wie im Falle von Tschetschenien geschehen). Das wäre vermutlich der worst case eines „die Ukraine hat verloren-Szenarios“. Wahrscheinlicher dürfte aber ein Szenario sein, wonach sich Russland zusätzlich zur Krim die südöstlichen Regionen der Ukraine dauerhaft einverleibt und deren staatliche Unabhängigkeit als „Volksrepubliken“ erklärt, wie es bereits im Februar 2022 mit Donezk und Lugansk erfolgte.

Die strategischen Ziele der Ukraine haben sich lt. Harald Kujat im Verlaufe des Krieges immer wieder geändert: „Gegenwärtig verfolgt die Ukraine das Ziel, alle von Russland besetzten Gebiete einschliesslich der Krim zurückzuerobern. Der deutsche Bundeskanzler sagt, wir unterstützen die Ukraine, solange das nötig ist, also auch bei der Verfolgung dieses Ziels, obwohl die USA mittlerweile betonen, es ginge darum, lediglich «das Territorium zurückzuerobern, das seit dem 24. Februar 2022 von Russland eingenommen wurde.“ (5)

Kann die Ukraine den Krieg gewinnen?

Kaum. Die Militärexperten sind sich einig: Die Chancen der Ukraine auf einen militärischen Sieg sind äußerst gering. Darauf hat zum Beispiel der US-Generalstabschef Mark A. Milley hingewiesen und auf eine politische Lösung des Konflikts durch Verhandlungen gedrängt: „Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges – definiert als der Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschliesslich der von ihnen beanspruchten Krim – ist militärisch gesehen in naher Zukunft nicht sehr hoch.»“ (10). Und dass Kriege gegen eine Atommacht nicht mehr im herkömmlichen Sinne „gewonnen“ werden können, davon ist auch Habermas überzeugt: „Einerseits haben wir aus dem Kalten Krieg die Lehre gezogen, dass ein Krieg gegen eine Atommacht nicht mehr in irgendeinem vernünftigen Sinne „gewonnen“ werden kann, jedenfalls nicht mit Mitteln militärischer Gewalt innerhalb der überschaubaren Frist eines heißen Konflikts. Das atomare Drohpotenzial hat zur Folge, dass die bedrohte Seite, ob sie nun selber über Atomwaffen verfügt oder nicht, die in jedem Fall unerträglichen Zerstörungen militärischer Gewaltanwendung nicht durch einen Sieg, sondern bestenfalls mit einem für beide Seiten gesichtswahrenden Kompromiss beenden kann. Dann wird keiner Seite eine Niederlage zugemutet, die sie als „Verlierer“ vom Feld gehen lässt.“ (3)

Deutsche Waffenlieferungen und das damit verbundene Risiko einer sukzessiven Kriegsbeteiligung

Fragen und Antworten zur militärischen Hilfe der Bundesregierung für die Ukraine kann man auf der Internetseite der Regierung nachlesen (8). Mit welchem Ausmaß an militärischer Hilfe Deutschlands (und des Westens) man unterhalb der Schwelle einer Kriegsbeteiligung zu bleiben glaubt, ist völlig offen. „Der Westen“, so Habermas in dem zitierten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, „der ja schon mit der Verhängung drastischer Sanktionen von Anbeginn keinen Zweifel an seiner faktischen Kriegsbeteiligung gelassen hat, muss deshalb bei jedem weiteren Schritt der militärischen Unterstützung sorgfältig abwägen, ob er damit nicht auch die unbestimmte, weil von Putins Definitionsmacht abhängige Grenze des formalen Kriegseintritts überschreitet.“ (3). Gleichwohl hält es der Autor für einen „frommen Selbstbetrug, auf einen Sieg der Ukraine gegen die mörderische russische Kriegführung zu setzen, ohne selbst Waffen in die Hand zu nehmen“ (3). Damit ist das Dilemma beschrieben, das für Habermas auf der Hand liegt, nämlich abwägen zu müssen „zwischen zwei Übeln – einer Niederlage der Ukraine oder der Eskalation eines begrenzten Konflikts zum dritten Weltkrieg“ (3).

(Ein zweiter Teil dieses Beitrags über den Ukrainekrieg ist in Arbeit. Ich möchte mich darin noch näher mit den Ursachen des Krieges beschäftigen und mit der Frage, ob der Krieg hätte verhindert werden können. Welchen Anteil hatte der Westen, hatte insbesondere die NATO-Osterweiterung an der Eskalation des Konfliktes? Welche Interessen verfolgen die USA, Russland und die Ukraine? Warum ist das Minsk-Abkommen von 2015 gescheitert?  Warum wurden die Istanbul-Verhandlungen vom März 2022 ohne Ergebnis abgebrochen? Was wären Bedingungen für Friedensverhandlungen? Wer könnte vermittelnd tätig werden?)

Quellen:

  1. Richard David Precht / Harald Welzer: Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheismeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer Verlag Frankfurt 2022
  2. Wikipdia: Russisch-ukrianischer Krieg, aufgerufen am 27.01.2023 https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Ukrainischer_Krieg )
  3. Jürgen Habermas: Das Dilemma des Westens. Süddeutsche Zeitung 28.04.2022
  4. Margot Käßmann · Konstantin Wecker (Hg.): Entrüstet Euch! Von der bleibenden Kraft des Pazifismus. Bene! Verlag 2022
  5. Interview mit General a. D. Harald Kujat, in: Zeitgeschehen im Fokus, hrsg. Vom Verein «Zeitgeschehen im Fokus» | Postfach | 8305 Dietlikon, Nr. 1 vom 18.01.2023) https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/home-ausgabe-10.html
  6. Heribert Prantl, Prantls Blick; Süddeutsche Zeitung vom 22.01.2023
  7. Jeffrey Sachs: Frieden in der Ukraine ist möglich. So könnte er aussehen. In: Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.
  8. Die Bundesregierung zum Krieg in der Ukraine

chatGPT: Brillant oder dumm wie Brot?

Warum mache ich mir eigentlich noch die Mühe und schreibe die Texte für diesen Blog selbst? Der KI-ChatBot kann´s doch auch. Ich hab´s ausprobiert und – voilá! es hat funktioniert. Hier das Ergebnis meines Tests:

Lieber Textroboter: Schreib doch mal eine Glosse für den Blog vom Lieser! Gerne, wenn Du mir sagst, worüber. Vielleicht über Künstliche Intelligenz? Kannst du bitte noch konkreter werden? Kann ich. Bitte begründe, warum ich die Texte für diese Glosse besser von dir schreiben lassen soll. Aber laber nicht lange rum, du hast dafür maximal zehn Zeilen.

Alles klar. Bisher werden die Texte für diese Glosse von Menschen und nicht von Computern geschrieben. Dabei können Computer das inzwischen auch. Deshalb werden Sie, liebe Leserinnen und Leser des Blogs von Jürgen Lieser, an dieser Stelle künftig Texte lesen, die von einem intelligenten Computerprogramm geschrieben sind. Dieses Programm heißt chatGPT. Heute können Sie den vom Computer geschriebenen Text noch daran erkennen, dass er kursiv gesetzt ist. In Zukunft müssen Sie selbst herausfinden, ob der Text von einem Computer oder einem Menschen geschrieben wurde. Sie werden den Unterschied vermutlich gar nicht merken.

An alle Brote: Ich bitte die despektierliche Überschrift zu entschuldigen, wollte Euch nicht beleidigen…