Gruppenbild mit Dame: Auf der Suche nach einer neuen Regierung

Das lässt sich ja schon mal gut an: Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen und Christian Lindner und Volker Wissing von der FDP „auf der Suche nach einer neuen Regierung …loten Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus“ – wie es zu diesem über die sozialen Medien verbreiteten Selfie heißt.

Interessantes Detail: Anscheinend hat sich Robert Habeck dabei zu sehr in den Vordergrund gedrängt, denn die anderen Drei haben ein abgeschnittenes Foto mit nur einem halben Robert veröffentlicht.

Damit der mal nicht zu frech wird und sich jetzt schon als Vizekanzler geriert? Oder wie soll man das verstehen?

Das Foto lässt keine Rückschlüsse auf Inhalte zu. Alle haben einen entspannten Gesichtsausdruck, im Hintergrund eine offene Tür. Hat man im Escape-Room gerade den Schlüssel zum Ausgang gefunden? Haben sich alle schon mal das Du angeboten – man steht sehr eng beieinander? Haben Lindner und Habeck sich auf eine einheitliche Bartlänge geeinigt, gewissermaßen als ersten Schritt zu gemeinsamer Regierungsverantwortung?

Die Suche nach den „Brücken über Trennendes“ dürfte alles andere als einfach werden – da sind große Spannweiten gefragt. Und genaue statische Berechnungen. Denn: „Falsche Berechnungen von Architekten können dabei zum Einsturz des jeweiligen Bauvorhabens führen“ (siehe https://www.helpster.de/statik-beim-brueckenbau-einfach-erklaert_129512)


Digitale Transformation: Zauberformel für eine schöne neue Welt?

Die digitale Transformation ist in aller Munde. In Anlehnung an Karl Valentin möchte man sagen: Alle reden von der Digitalisierung, aber keiner unternimmt etwas dagegen. Und keiner kann einem genau erklären, was damit eigentlich gemeint ist und wohin das am Ende führen soll. Hört sich auf jeden Fall schon mal ziemlich fortschrittlich an. Und das umso mehr, wenn wir es englisch aussprechen „Didschitel Transformäschn“. Genau genommen müsste es heißen „Digital Business Transformation“ – dann wird nämlich auch klar, dass es vor allem ums Geschäft geht. Sie, also die Digitalisierung, durchdringt mehr und mehr alle Lebensbereiche. Sie wird die Menschheit entscheidend voranbringen, heißt es. Die Wirtschaft kann ohne sie nicht mehr wachsen und sieht auf dem Weltmarkt alt aus. Die Parteien im Wahlkampf versprechen uns eine glückliche Zukunft durch Digitalisierung. In der neuen Regierung wird es wohl ein Ministerium für digitales Dingsbums geben. Ob dann alles besser wird? Wird die Armut in der Welt endlich verschwinden? Welche Zukunftsperspektiven wird die digitale Transformation für Millionen von Flüchtlingen eröffnen? Werden wir dem Klimawandel digital Einhalt gebieten? Auf jeden Fall wird telefonieren noch teurer werden, als es jetzt schon ist. Darauf kann man schon mal einen lassen.

Wer heute noch analog unterwegs ist – egal ob bei der Musik, bei der Zeitungslektüre oder beim Fernsehen, der oder die ist hoffnungslos von gestern. Bald werden Autos autonom fahren. Corona hat den digitalen Schulunterricht hervorgebracht. Gegen Schachcomputer sehen selbst Weltmeister alt aus. Alexa erfüllt unsere Wünsche digital. Nur beim Käse und beim Sex ist die analoge Variante noch recht verbreitet.

Das Gegenteil von digital ist analog. Analog kommt vom lateinischen aná -logos, was etwa heißt, der Vernunft entsprechend.

(Kleiner Exkurs: Oder könnte es etwa sein, dass analog sich am Ende von anal ableitet? Das Wort digital kannten die Römer zwar, aber nicht im heutigen Sinne. Digital, das zumindest wissen wir humanistisch Gebildeten, heißt erst mal so viel wie „mit dem Finger“. Die Digitalisierung ist, wie anfangs festgestellt, in aller Munde, während das Anale, also das, was sich auf den entsprechenden Körperausgang bezieht, eher tabu ist. Wenn wir zu denen gehören, die in der analen Phase zum Stuhlgang auf den Topf gezwungen wurden, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir im Erwachsenenleben ständig unter Verstopfung leiden. Dafür gibt es dann Kijimea Reizdarm Pro. Beim Stuhlgang Druck auszuüben ist sowieso kontraproduktiv. Aber das führt jetzt weg vom eigentlichen Thema. Heute muss der Nachwuchs gar keine anale Phase mehr durchlaufen, kann demzufolge auch keine anale Fixierung entwickeln, sondern ist als „digital native“ von Geburt an mit einem Facebook-, Youtube- und Twitter-Account ausgestattet und hat Zugriff auf die angesagtesten Online-games. Das Töpfchen der kleinen Scheißerle ist mit einem digitalen Sensor ausgestattet, der unmittelbar nach Vollzug des großen Geschäftes über eine Sonde im Stammhirn Glückshormone ausschüttet und den Spieltrieb enthemmt, wie auf der jüngsten gamescom in Köln zu erfahren war. Hinweis für alle digitalen Analphabeten unter meinen Blog-Abonnent*innen, die immer noch Halmafiguren auf dem Brett hin- und herschieben: Die gamescom ist das weltgrößte Event für die geilsten Computerspiele und hat es in den letzten Wochen geschafft, FEARTURE hinter Gitter zu bringen und den Vault zu öffnen. Epischer Loot erwartet uns! Alles klar?)

Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, anal oder digital, bzw. digitale Transformation. Von der Digitalisierung gehen große Hoffnungen aus. Die Künstliche Intelligenz (KI) zum Beispiel, ein Produkt der Digitalisierung, wird dem Menschen in Zukunft viele komplexe Denkaufgaben abnehmen. Mit der natürlichen Intelligenz und mit den komplexen Denkaufgaben sieht es bei der menschlichen Spezies nicht sonderlich gut aus, wenn wir mal von Albert Einstein und Joschka Fischer absehen. In meiner Lehrzeit hieß es noch, man solle das Denken den Pferden überlassen, die hätten die größeren Köpfe.  Jetzt werden die Pferde durch die KI abgelöst. Die KI kann wahnsinnig schnell rechnen und eine irre große Zahl an Nachkommastellen der Zahl PI ausrechnen. Unsere Fundamentalkritik daran lautet: Wer zum Teufel braucht eigentlich so viele Nachkommastellen der Zahl PI? Im Grunde ist die KI doch strunzdumm und maximal in der Lage, eine 0 von einer 1 zu unterscheiden! Das reicht aber offensichtlich, um dem menschlichen Verstand überlegen zu sein. Eine bittere Erkenntnis.

Trotzdem wollen wir uns der digitalen Transformation nicht prinzipiell verweigern, wo immer sie uns demnächst über den Weg läuft. Vom „Internet of Things“, der „Blockchain“ oder den „Augmented-Reality-Solutions“ erwarten wir uns grundstürzende Lösungen bei unseren trivialen Alltagsfragen wie: Wo habe ich wieder den Autoschlüssel hingelegt? Wer bringt heute den Müll runter? Oder: Wie war nochmal das fucking Passwort beim online-banking?

Wir wollen natürlich nicht als Feind jeglichen Fortschritts dastehen. Digitalisierung muss wohl sein und selbige ist ja per se weder gut noch schlecht. Sie hat sich längst in unserem Leben breit gemacht. Auch dieser Blog führt ein digitales Dasein, selbst wenn die Beiträge dafür noch richtig oldschoolmäßig analog verfasst werden. Die Digitalisierung, so hören wir, ist ähnlich wie die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert, die Einführung der Dampfmaschine und damit der Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert, die Elektrizität und die Jeans im 19. Jahrhundert, die Erfindung der Gummibärchen und der lenkbaren Bratkartoffel im 20. Jahrhundert und schließlich des Internets im 21. Jahrhundert ein Quantensprung der menschlichen Zivilisation. Lange davor gab es noch die Erfindung des Rads bzw. des Schießpulvers, beides zivilisatorische Errungenschaften, die es leichter machten, die Wirtschaft anzukurbeln, Sklavenhandel zu treiben und Kriege zu führen. Eine wichtige neue digitale Entwicklung sind bewaffneten Kampfdrohnen, mit deren Hilfe Kriegsgegner oder auch nur politisch unliebsame Menschen per Knopfdruck aus der Distanz liquidiert werden können, ohne sich selbst mit Blut zu besudeln – allenfalls noch sprichwörtlich.

Falls das jetzt zu polemisch rüberkam, hier noch ein paar Argumente pro Digitalisierung: Um den Kühlschrank aufzufüllen, genügt ein Blick auf die „Was ich noch einkaufen muss-App“. Während des Urlaubs auf den Fidschi-Inseln kann ich zuhause die Jalousien runterlassen – dafür muss ich dann nicht mehr die blöden Nachbarn bemühen. Das Auto fährt von alleine in die Garage, ohne Beulen und Schrammen. Unter der Stadtbahnbrücke lebende Obdachlose können ihren digitalen Sammelhut vor dem Supermarkt jederzeit per remote access auf deren Inhalt überprüfen – mit der „Haste mal ´nen Euro-App“, usw. Wen das nicht überzeugt, hier noch das ultimative Argument für die schöne neue Welt der digitalen Transformation: Die Wertschöpfungsketten der global operierenden Konzerne werden im digital age optimiert, neue Geschäftsmodelle und -chancen werden erschlossen, die performance, mit der sich Unternehmen in die zukünftigen Märkte wagen, wird verbessert. Dagegen kann man doch eigentlich nichts haben, oder? Wir wollen doch auch in Zukunft unsere Erdbeeren aus Chile zu Weihnachten auf dem Tisch haben!    


Wahlkampf mit Lücken

Der Wahlkampf ist so gut wie vorbei, in wenigen Tagen werden wir wissen, wer die neue Regierung stellen wird. Beim Anschauen der diversen Formate im Fernsehen – Triell, Wahlarena, Einzelinterviews, Talkrunden und was es sonst noch alles gibt, oder beim Studieren der Presseberichte über Portraits und Parteiprogramme machte sich zuletzt eine gewisse Ermüdung, Erschöpfung, wenn nicht gar Langeweile breit, angesichts der immer gleichen Argumente, Profilierungsversuche und Sprechblasen. Den beiden Kandidaten und der Kandidatin für die Kanzlerschaft, die seit Wochen im Dauereinsatz sind und dabei unter kritischer Beobachtung stehen, sei zugestanden, dass Wiederholungen bei so vielen öffentlichen Veranstaltungen, Presse- und Fernsehinterviews und Wahlkampfauftritten unvermeidbar sind. Das gilt auch für die GeneralsekretärInnen der kleineren Parteien wie FDP oder Linke. Irgendwann wusste man, welche Frage an welche Politikerin und welchen Politiker wie beantwortet wird, mit geringfügigen Nuancen.

Ständig drehte es sich um die immer gleichen, selbstbezogenen Themen wie Renten, Steuern, Energiewende, Tempolimit auf Autobahnen, Schulpolitik, Mindestlohn, Familienförderung, Mieten, usw.  – Themen also, bei denen es um unsere sozialen Standards, unseren Wohlstand, unsere Sicherheit usw. geht und wie wir am besten unsere eigene Zukunft gestalten können. Ja, das ist alles wichtig und richtig und es interessiert uns Wählerinnen und Wähler, welche Programme die jeweiligen Parteien zu diesen Themen vertreten. Aber: Warum wurden viele wichtige Fragen gar nicht erst gestellt? Weder von der Moderation der drei Triell-Auftritte, noch bei Einzelinterviews oder Talkrunden und auch nicht im Wahlomat der Bundeszentrale für Politische Bildung? Wo und wann wurden die Parteien zu aktuellen globalen Herausforderungen befragt? Hat man etwas zu unserer Rolle als reiches Industrieland zur Prävention und Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte gehört? Zur Armutsbekämpfung in der Welt? Zur weltweiten Flüchtlingsproblematik und zu unserer Migrationspolitik (die inzwischen zu einer Abschottungspolitik verkommen ist)? Hat irgendjemand das Wort Entwicklungspolitik im Wahlkampf gehört? Oder fairer Handel? Kinderarbeit? Billiglohnländer? Zunahme des Hungers in der Welt? Impfstoffapartheit? Kampf um Rohstoffe? Abholzung von Regenwäldern? Atomare Abrüstung? Rüstungsexporte?

Gut, beim Thema Klimaschutz war allen klar, dass es sich hierbei um eine globale Herausforderung handelt und dass es eine gemeinsame Anstrengung der internationalen Gemeinschaft braucht, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Wenn es ansonsten, abgesehen vom Klimawandel, um internationale Themen ging, dann um die jüngste Entwicklung in Afghanistan und um Ja oder Nein zur NATO. Die Mitgliedschaft in der NATO wird außer von der Linken von keiner der etablierten Parteien in Frage gestellt. Lediglich bei der Frage, wie hoch der Anteil Deutschlands an den Kosten der NATO sein soll, unterscheiden sich die Positionen. Dabei wäre es ja wirklich mal eine ernsthafte Diskussion wert gewesen, ob ein im Kalten Krieg entstandenes Militärbündnis mit ständig steigenden Rüstungsausgaben von jetzt 1.100 Mrd. USD (2020) noch in die heutige sicherheitspolitische Landschaft passt oder ob nicht über neue Formen der globalen Friedenssicherung und eine neue Sicherheitsarchitektur nachgedacht werden müsste (Übrigens: Die Rüstungsausgaben Russlands im Vergleich zur NATO betragen 61,7 Mrd. USD, die der VR China 252 Mrd. USD).

Nicht nur das Rüstungsbudget der NATO ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Auch die Bundesrepublik hat ihre Rüstungsausgaben von 2000 (24,3 Mrd. €) bis 2021 (46,9 Mrd. €) fast verdoppelt. Mit den Kosten für einen einzigen Eurofighter (145 Mio. €) könnten die jährlichen Ausgaben für den Zivilen Friedensdienst (55 Mio. €) für drei Jahre finanziert werden. Die deutschen Rüstungsexporte waren, jedenfalls nach meinen Beobachtungen, ebenfalls kein Thema im Wahlkampf. Für weitere Details zum Thema Rüstung empfehle ich das ganz aktuelle Factsheet Rüstung der Informationsstelle Militarisierung e.V. Tübingen.

Vermutlich würden die Parteien und die Medien, auf die hier beschriebenen thematischen Defizite und Lücken im Wahlkampf angesprochen, darauf verweisen, dass die Wählerinnen und Wähler sich dafür nicht sonderlich interessieren. Dennoch sollten angeblich unpopuläre Themen gerade im Wahlkampf nicht ausgeklammert werden.


Bundestagswahl: Für das Verbot, das Verbieten zu verbieten

In gut zwei Wochen dürfen wir eine neue Regierung wählen. Mein Wunschkabinett habe ich am 6. März in einem Blogbeitrag vorgestellt (Wir basteln uns eine Regierung). Aber auf mich hört ja keiner. CDU, FDP und AfD malen das Schreckgespenst einer grün-roten Koalition an die Wand. Öko-Stalinismus! Umverteilung!! Enteignung!!! Verbote!!!! Wer grün wählt, wählt die Verbotspartei, so tönt es wahrheitswidrig aus rechten Kehlen. Dabei trauen sich die Grünen im Wahlkampf schon gar nicht mehr, das Wort „Verbot“ (Kurzstreckenflüge! Verbrennerautos! Fleisch! Einfamilienhäuser!) in den Mund zu nehmen, um die Wählerinnen und Wähler nicht zu vergraulen. Annalena Baerbock wurde von der Initiative Neue Soziale Markwirtschaft in großformatigen Zeitungsanzeigen als weiblicher Moses mit den zehn Verbotstafeln dargestellt: „Die Verbote der Grünen lähmen unser Land.“ Das fanden allerdings selbst die Arbeitgeberverbände zu primitiv.

Was soll eigentlich an Verboten so verwerflich sein? Das geht ja schon im Paradies los mit dem Verbot, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Gut, das ist lange her und man weiß, wie der Verstoß dagegen endete. Dann kam der bereits erwähnte Moses mit den zehn Geboten, die ja eigentlich Verbote sind – z.B. das Verbot, sonntags zu arbeiten. Heute gibt es viele Verbote. Darunter solche, die einem unmittelbar einleuchten („bei Rot stehen, bei Grün gehen“) und solche, die aus der Zeit gefallen scheinen und vom Untertanengeist getränkt sind (Verbot der Majestätsbeleidigung). Manche Verbote verstehen sich von selbst: Nicht in Nachbars Briefkasten pinkeln, seinen Kampfhund nicht auf kleine Kinder hetzen, Wespen nicht mit der Gabel auf dem Kuchenteller zerquetschen, usw. Ich hätte eine ganze Menge Vorschläge für längst fällige Verbote. Hier eine kleine Auswahl:

  • Autoposer, die mit ihren PS-starken Autos und eingebautem Rennwagensound die Innenstädte terrorisieren
  • Die Frage an Supermarktkassen „Haben Sie eine Paybackkarte?“
  • Atomraketen und elektrische Laubbläser
  • Auftritte von Helene Fischer im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen
  • Bahnstreiks
  • Der „Like“-Button in den Sozialen Medien
  • Kommentare von Christian Lindner zum Zeitgeschehen
  • „Sagen Sie uns Ihre Meinung“-Feedbacks zu jedem Scheiß
  • Modeempfehlungen im Zeit-Magazin

(Auf Antrag nehme ich gerne weitere Anregungen meiner geschätzten Anhänger*innenschaft für diese Liste auf).

Man mag über die jetzt bald ausscheidende Bundesregierung viel Kritisches sagen. Durch nervige Verbote ist sie nicht aufgefallen (wenn wir mal von Corona absehen), außer: 2015 darf sich nicht wiederholen. Liebe AfghanInnen, bleibt bitte wo ihr seid. Wir bitten die Taliban, auch ganz lieb zu Euch zu sein. Was von der GroKo positiv in Erinnerung bleiben wird, sind die geradezu poetischen Namensgebungen für neue Gesetze: Das „Das Gute-KiTa-Gesetz“, das „Starke-Familien-Gesetz“, und, mein Favorit, das Seehofersche „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ (vulgo „Hau-Ab-Gesetz“). Man darf gespannt sein, ob die neue Regierung diese schöne Tradition fortsetzen wird. Ich hätte schon mal ein paar griffige Namensvorschläge:

  • Das vom Bundesverfassungsgericht in die Tonne getretene Klimaschutzgesetz wird in der novellierten Form als „Prima-Klima-Gesetz“ kommen. Da freut sich der Globus und hört endlich auf, sich zu erwärmen und uns mit Extremwetterereignissen zu piesacken.
  • Das Tierwohl war für Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bekanntermaßen ein Herzensanliegen. Sollte sie auch der neuen Regierung angehören, erwarten wir aus ihrem Haus das „Schöner-Schlachten-Gesetz“ mit einem besonderen Fokus auf der betäubungslosen Kastration von Ferkeln und dem einfühlsamen Schreddern von Kücken.
  • Die Grünen, die ja bekanntermaßen Einfamilienhäuser verbieten wollen, werden dafür das „Oma-Kleinhäuschen-Weg-Gesetz“ auf den Weg bringen.
  • Leider wird Andreas Scheuer, unser allseits beliebter Verkehrsminister, wohl nicht mehr dem neuen Kabinett angehören. Sonst hätten wir von ihm sicher bald ein Tempolimit auf Autobahnen erwarten dürfen als „Andi-Beschleunigungs-Gesetz“.
  • Und damit die Reichen endlich mehr Steuern zahlen, freuen wir uns schon auf das „Die-Reichen-Sollen-Erbleichen-Gesetz“ – das wird aber nur kommen, wenn Sahra Wagenknecht Finanzministerin wird.

Es bleibt spannend. Wir sprechen uns am 26. September nach der ersten Hochrechnung.


Schweinestau: 750.000 Schweine in der Warteschlange

…das vermeldete kurz vor Weihnachten letztes Jahr die niedersächsische Agrarministerin Barbara Otte-Kinast. Für die Schweinezüchter eine Katastrophe, so die Ministerin unter Tränen. Es ist nicht bekannt, ob sich der Stau inzwischen aufgelöst hat.

Wie dem auch sei: Die Schweine sehen das vermutlich mit gemischten Gefühlen. Versetzen wir uns mal in deren Lage: Schlangestehen ist ja an sich schon nervig genug. In der Regel wartet aber am Ende etwas Erfreuliches: Die letzten Kinokarten, eine Corona-Impfung, der freigewordene Serviceschalter im Kundencenter der Bahn. Anders bei den Schweinen: Für sie wartet die Exekution mittels Betäubungspistole – im günstigsten Falle. Manchmal auch die eine oder andere brachiale Methode – siehe Horroraufnahmen aus Schweinemastbetrieben.

Und was meint die Zeitschrift „beef“, das Zentralorgan des Schlachterhandwerks und Kampfpostille für den Erhalt der deutschen Bratwurst dazu? Nichts. Stattdessen: „Wie grille ich mich ins Herz einer Frau?“. Das hilft den Schweinen auch nicht wirklich. Julia Klöckner, unsere Bundeslandwirtschaftsministerin, sieht sogar eine Mitschuld bei den Schweinehaltern. Hallo! Da hätte man eigentlich anderes von ihr erwartet. Zum Beispiel die Empfehlung, an Weihnachten mal über den Gänsebratenschatten zu springen und einen ordentlichen Schweinerollbraten zu servieren! Dann hätte sie allerdings flugs den Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) auf dem Hals. Vielleicht hilft aber auch die Afrikanische Schweinepest (ASP) beim Abbau des Schweinestaus.

Wir bleiben dran.


Nie wieder Krieg? Fragen eines Pazifisten

Am 1. September wird in Deutschland jedes Jahr der Antikriegstag begangen. Mit diesem Gedenktag, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund 1957 initiiert wurde, wird an den Beginn des Zweiten Weltkrieges und den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen erinnert. Von den Vereinten Nationen wird seit 1981 der 21. September als Weltfriedenstag begangen. Ob Antikriegs- oder Weltfriedenstag: Wie realistisch oder utopisch ist der Wunsch nach oder die Vorstellung von einer Welt ohne Krieg? Ist ein radikaler Pazifismus mit seinem trotzigen „Nie wieder Krieg“-Slogan eine belächelte, romantisch-utopische, weltfremde Haltung, die sich weigert, die Realität anzuerkennen?

Zunächst zur Realität. Unter den aktuellen Kriegen – nach offizieller Zählung 21 – finden wir u.a. Afghanistan, Syrien, Jemen, Äthiopien, Südsudan, Mali, Ukraine, Kolumbien. Die Geschichte der Menschheit ist seit der Antike bis in die Gegenwart auch eine Geschichte von Kriegen. Ein Blick auf die lange Liste der Kriege etwa bei Wikipedia macht dies erschreckend deutlich. Die traumatischen Erfahrungen mit den verheerenden beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts haben nicht, wie von manchen erhofft, zu einer Ächtung des Krieges und zu einem weltweiten Konsens geführt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen.

Schon 1924 brachte Käthe Kollwitz in dem berühmten Plakat den Wunsch nach „Nie wieder Krieg“ zum Ausdruck.

Das „Heidelberg Institute for International Conflict Research“ (HIIK) ermittelt jedes Jahr das weltweite Konfliktgeschehen im sog. Heidelberger Konfliktbarometer und unterscheidet dabei fünf Konfliktstufen (siehe Grafik):

Für die höchste Stufe 5, den Krieg, stellt das HIIK in seinem jüngsten Bericht für 2020 fest: „Compared to 2019, the overall number of full-scale wars increased from 15 to 21“ – also eine deutliche Steigerung bei der Anzahl der Kriege gegenüber dem Vorjahr. Auch wenn diese Zahlen von Jahr zu Jahr variieren, muss ernüchternd festgestellt werden, dass im langfristigen Trend nicht weniger, sondern eher mehr Kriege geführt werden. Es steht also ausgesprochen schlecht um den Weltfrieden.  

 

Bleibt also der im „Nie wieder Krieg“ zum Ausdruck kommenden Wunsch eine Utopie und der Pazifismus eine Spielwiese für Realitätsverweigerer? Für eine persönliche Antwort auf diese Frage muss ich ein paar biografische Hintergründe bemühen. 1968, im Alter von 20 Jahren, stellte ich einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Damals musste man seine Gewissensentscheidung noch vor einem Ausschuss rechtfertigen und dümmliche Fragen beantworten wie: „Sie gehen mit Ihrer Freundin im Wald spazieren. Plötzlich kommen drei Russen und wollen Ihre Freundin vergewaltigen. Was tun Sie?“ Leider war ich damals nicht schlagfertig genug, um mit einer noch dümmlicheren Antwort zu parieren („Ich nehme meine Kalaschnikow, die ich bei solchen Gelegenheiten immer bei mir führe, und ratatatata…“). Ich erinnere die genaue Antwort nicht mehr, aber ich wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Etwa zur gleichen Zeit hatte ich für das über den Zweiten Bildungsweg angestrebte Abitur das Thema „Christ und Kriegsdienstverweigerung“ als Abschlussarbeit gewählt, was zwangsläufig zu einer intensiven Beschäftigung mit so Sachen wie Gerechter Krieg, ius ad bellum, konstantinische Wende, Augustinus, usw. führte. Kriegsdienstverweigerer waren zum Ersatzdienst verpflichtet. In meinem Fall war das ein dreijähriger Einsatz im Entwicklungsdienst in Bolivien. Es war die Zeit linker Aufstandsbewegungen und rechter Militärputsche in Ländern wie Bolivien, Chile, Argentinien, später in Nicaragua und El Salvador. Das schürte erste Zweifel an meinem bis dahin lupenreinen Pazifismus. Wieviel Widerstand, zur Not auch mit Gewalt, gegen diktatorische Regime, gegen Unrecht und Unterdrückung, ist legitim? Eine Beendigung der Nazidiktatur und der Shoa wäre ohne militärische Intervention der Alliierten nicht möglich gewesen. In Belarus, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, konnte der friedliche, gewaltfreie Protest nicht zu einer Beendigung der Diktatur Lukaschenkos führen. Heute wird die Diskussion dazu unter dem Stichwort „responsibility to protect“ (Schutzverantwortung, abgekürzt R2P) geführt. Die R2P räumt im Falle, dass eine nationale Regierung die eigene Bevölkerung nicht vor Völkermord, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen vermag oder selbst Urheber der Menschrechtsverletzungen ist, der internationalen Gemeinschaft das Recht zur militärischen Intervention als ultima ratio ein.

Eine konsequent pazifistische Position müsste also das Konzept der R2P ablehnen, zumindest was den Teil der militärischen Intervention betrifft. Sie müsste aber dann die Frage beantworten, wie massive Menschenrechtsverletzungen ohne Gewalt verhindert oder beendet werden können. So richtig die Forderung nach einem Vorrang ziviler Krisenprävention sowohl in der deutschen Außenpolitik als auch in der internationalen Politik ist, so richtig ist es auch, dass gewaltfreie Ansätze nicht immer und überall geeignet sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern (Beispiel Genozid in Ruanda 1994). Diese Erkenntnis entbindet uns nicht von der Pflicht, alle gewaltfreien Mittel auszuschöpfen, bevor als letztes Mittel militärisch interveniert wird.

Die Waffenschmiede Heckler & Koch verkündete gestern, dass der Gewinn im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 50 % gesteigert werden konnte. Der Antikriegstag wäre doch mal ein guter Anlass, den Export von Waffen und Rüstungsgütern aus Deutschland zu verbieten.

Damit wären wir wieder auf dem Boden der Realität angelangt. Ich bleibe aber dabei, dass die Utopie des „Nie wieder Krieg“ ihre Berechtigung hat, und begründe dies mit einem Adorno-Zitat: „Empfindsam bleiben ist eine gleichsam utopische Haltung, die Sinne für ein Glück geschärft zu halten, das nicht kommen wird, jedoch uns im Bereitsein für es vor den ärgsten Verrohungen schützt“.