Für eine atomwaffenfreie Welt – es ist 100 Sekunden vor 12

Letztes Jahr, am 8. Mai 2020, habe ich mich aus Anlass des 75. Jahrestages des Kriegsendes in einem Essay mit der Frage beschäftigt: Atomwaffen: Wirksamer Schutz oder zunehmende Bedrohung? Aktuelle Entwicklungen geben keinen Anlass zur Hoffnung auf eine atomare Abrüstung – ganz im Gegenteil. Die Atommächte streben eine Modernisierung ihrer Arsenale an, und die Bundesrepublik ist über die „nukleare Teilhabe“ (was für ein Euphemismus!) im Rahmen der NATO an diesen Aufrüstungsbestrebungen beteiligt. Umso wichtiger ist es, dass zivilgesellschaftliche Gruppierungen wie Kirchen und Friedensbewegung auf die Gefahren des atomaren Wettrüstens aufmerksam machen.

Am 3. Juli 2021 ruft eine kirchliche Projektgruppe zum Aktionstag „Für eine atomwaffenfreie Welt – es ist 100 Sekunden vor 12“ vor dem Fliegerhorst Büchel auf. Dieser 4. Kirchliche Aktionstag für eine atomwaffenfreie Welt wird maßgeblich organisiert vom der Evangelischen Akademie im Rheinland in Kooperation mit der Projektgruppe Kirchen gegen Atomwaffen – Christinnen und Christen aus mehreren evanglischen Landeskirchen und der Katholischen Friedensbewegung pax christi Deutschland.

Nähere Informationen zum Ablauf des Aktionstages und zum Text des Aufrufes gibt es hier.


Bundestagswahl: Was hinten rauskommt

Von Angela Merkel wird gesagt, dass sie vom Ende her denkt. Für Helmut Kohl war wichtig, was hinten rauskommt. Wir wissen nicht, ob mit solchen Formulierungen gemeint ist, dass der Enddarm als Ersatzorgan für das Gehirn herhalten soll. Als gewiss kann gelten, dass sich im Hirn mancher Menschen Vorgänge abspielen, die eher zum Untersuchungsgebiet von Proktologen gehören und die sich um die Verleihung des Original-Hirnfurzsiegels bewerben können.

Merkel und Kohl sind hier ausdrücklich nicht gemeint. Beide haben offenbar ihren Max Weber gelesen. Der hat schon 1919 in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ (gibt´s als Reclam Universal Bibliothek für 2,60 € im Buchhandel) die politischen Utopien in die Tonne getreten und statt Gesinnungsethik für eine Verantwortungsethik plädiert. Heißt im Klartext: Politiker – gegendert wurde damals noch nicht – sollten nicht auf ihre Wiederwahl schielen. Statt hehren, aber unrealistischen Utopien anzuhängen (Gesinnungsethik), sollten sie, also die Politiker, und das gilt jetzt auch für die Politikerinnen, lieber das Ergebnis ihres Handels im Auge behalten (Verantwortungsethik). Was hinten rauskommt.  

Was könnte das für die kommende Bundestagswahl heißen? Das, liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, ist die Hausaufgabe für die nächsten Wochen: Schaut Euch die Wahlprogramme der Parteien genau an! Ja ok, es gibt zweifellos Vergnüglicheres als die Lektüre von Wahlprogrammen. Aber das Fernsehprogramm am Wochenende ist ja mindestens genauso langweilig und dröge. Da dürfen wir wählen zwischen Rosamunde Pilcher, Oliver Welke und „Dickes Deutschland – Unser Leben mit Übergewicht – Krisen, Kilos und Karriere“. Peter Altmeier, und diese Assoziation ist jetzt wirklich ganz zufällig, ist gerade in die USA geflogen. Angela Merkel soll auch bald, am 15. Juli, dorthin fliegen. Dabei gibt es doch einen travel ban für Deutsche, die in die USA reisen wollen? Cool wäre natürlich, die Kanzlerin würde wie Greta Thunberg mit dem Segelboot über den Atlantik schippern und damit zeigen, wie ernst es ihr mit dem Klimawandel ist. Aber das wäre ja schon wieder Gesinnungsethik. Mal sehen, was hinten rauskommt, bei den Wahlen.


Dreier- oder Viererkette: Was die Nation bewegt

Nochbundestrainer Jogi Löw, so erfahren wir, denkt nach. Das erste Spiel der Europameisterschaft gegen Frankreich hat die deutsche Mannschaft verkackt. Und Greenpeace hat auch Mist gebaut. Am Samstag geht es gegen Portugal. Es muss ein Sieg her, sonst ist schon wieder in der Vorrunde Schluss. Bei Portugal spielt der Brasilianer (sorry, muss mich korrigieren: er ist Portugiese) Cristiano Ronaldo, der schönste Stürmer der Welt, der mit der gegelten Frisur und dem CR7-Parfum. Marktwert 45 Millionen Euro. Unlängst bekannt geworden durch seine spektakuläre Coca-Cola-Gate-Aktion. Er kann natürlich auch Tore schießen und ist schnell mal beleidigt. Für die deutsche Mannschaft lautet die Frage vor dem wichtigen Spiel, außer dass man fokussiert sein sollte und Ronaldo nicht zum Torschuss kommen darf: Wird es einen Systemwechsel geben? Nicht, was man sich darunter vorstellt – vom Kapitalismus zum Sozialismus oder so. Das wäre ja beim Profifußball und bei der UEFA irgendwie komisch. Nein, es geht um das Spielsystem. Vierer- oder Dreierkette. Man hätte auch gerne gewusst, was Lothar Wieler dazu sagt. Hätte Jogi gegen Frankreich mit der Dreierkette vielleicht mehr Erfolg gehabt? Hätte. Hätte. Viererkette. Apropos Kette: Vielleicht sollte man Greenpeace empfehlen, statt mit dem Motorgleitschirm im Stadion bruchzulanden einen Eisbären am deutschen Tor anzuketten und damit auf die abschmelzenden Polkappen aufmerksam zu machen? Dann würde auch Ronaldo Abstand vom Tor halten. War nur mal so ´ne Idee.  


Arbeitgeber zittern vor der grün-sozialistischen Ökodiktatur

Vorbemerkung: Dies ist der 100. Beitrag auf diesem Blog. Eigentlich wäre jetzt mal eine Pause fällig. Man möchte seine Abonnent*innen ja nicht alle drei Tage mit einem Blogbeitrag nerven. Aber es kochen gerade so viele brandheiße Themen hoch, dass es schwerfällt, für eine Weile die Klappe zu halten. Ich habe schweren Herzens darauf verzichtet, der grundstürzenden dpa-Meldung, dass Reiner Haseloff zu Hause mithilft und auch schon mal den Müll runterträgt, ein paar respektvolle und achtsame Zeilen zu widmen. Aber da kommt nun die Schmutzkampagne der Arbeitgeberverbände gegen Annalena Baerbock aufs Tableau, und das kann an dieser Stelle nicht unkommentiert bleiben.

Was ist passiert? Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), eine von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Lobbyorganisation, die zum Beispiel gegen das Lieferkettengesetz wettert und auch schon mal kritische Journalisten bedroht, hat in diesen Tagen in mehreren überregionalen Zeitungen eine Anzeige geschaltet: „Warum uns grüne Verbote nicht ins gelobte Land führen“.

Diese Anzeige erschien am 11. Juni 2021 in den überregionalen Zeitungen FAZ, Süddeutsche, Tagesspiegel und Handelsblatt sowie in ZEIT online.

Annalena als Moses mit den zehn Geboten? Das böte jede Menge Stoff für satirische Kommentierungen, wäre da nicht die böswillige Verbreitung von Fake und die Bedienung antisemitischer Stereotype.  „Du darfst nicht schöner wohnen“, „Du darfst nicht fliegen“ und andere angebliche Verbote werden der grünen Kanzlerkandidaten und ihrer Partei unter das Mosesgewand geschoben. Dass die vermeintlichen Verbote gar nicht stimmen, scheint die Verantwortlichen der Anzeige nicht zu stören. „Wir brauchen keine Staatsreligion“ meint die INSM. Stimmt. Wir brauchen auch keine Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die einen solchen Bullshit verbreitet und mit einer Schmutzkampagne den Wahlkampf eröffnet. Wenn dieser Schuss mal nicht nach hinten losgeht. Die Arbeitgeberverbände, die die Initiative finanzieren, haben sich inzwischen von der Anzeige distanziert.


G7, drei G, 5G: Wie die „Gs“ unser Leben bestimmen

Man kann schon durcheinander kommen mit den ganzen „G“-Abkürzungen. „GG“ steht für das Grundgesetz, das muss man uns nicht erklären. Aber was ist die „G-10-Kommission“? Das könnte die Einemillioneurofrage bei Günter Jauch sein. Hat auch irgendwie etwas mit dem Grundgesetz zu tun, genauer mit Art. 10, der ein bisschen ausgehebelt werden soll, damit die Bundesnachrichtendienste in unserem Privatleben rumschnüffeln können. 

In aller Munde sind derzeit die drei G – geimpft, genesen, getestet. Für Freunde der großen Verschwörung gehören dazu auch die Gechipten, also eigentlich vier G. Bei „5G“ wiederum denken die einen an autonomes Fahren, die anderen an gefährlichen Elektrosmog und lückenlose Überwachung unserer täglichen Toilettengänge, womit wir wieder beim Artikel 10 des Grundgesetzes wären. Vom Telefonieren auf dem Abort wird dringend abgeraten, auch weil schon manches Handy im Abfluss verschwand.

Und was war nochmal „G7“? Schon wieder vergessen? Heiligendamm 2007? Massiver Polizei- und Bundeswehreinsatz gegen Protestierer? Traurige Berühmtheit erlangte der G8-Gipfel 2001 in Genua wegen der brutalen Polizeiübergriffe gegen Demonstranten. Übrigens hieß die G7 damals noch G8, weil die Russen noch dabei waren. Und ganz zu Beginn, bei der Gründung dieses elitären Zirkels im Jahr 1975, umfasste die Gruppe nur sechs Staaten. Aber jetzt mal der Reihe nach. Die G7-Staaten, das sind die sieben derzeit wichtigsten Industrienationen der Welt: USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, Kanada, Japan. Angefangen hat das Ganze 1973 als informelle Gruppe der fünf Staaten USA, Frankreich, Deutschland, United Kingdom, Japan. Mit Italien und Kanada wuchs die Gruppe 1976 zur G7. 1998 kam Russland dazu, ab da also G8. Die bösen Russen wurden 2014 wegen der Intervention in der Ukraine wieder ausgeschlossen. In Anlehnung an das Lied von den zehn kleinen people of color heißt es also seit 2014: da waren´s nur noch sieben.

Es gibt noch weitere Zusammenschlüsse: G10, G15, G20, G77 und natürlich die Vereinten Nationen, die als einzige globale Organisation Völkerrechtssubjekt sind. Bei der G7-Gruppe gibt es eine vergleichbare Legitimation nicht. Egal ob sechs, acht oder sieben: Das Attribut, wichtig zu sein, haben sich die Mitglieder dieses elitären Clubs selbst verliehen. Es gibt kein demokratisches Mandat und keine irgendwie geartete Repräsentativität. Themensetzung und Entscheidungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Proteste der Zivilgesellschaft und von Globalisierungskritikern werden mit einem riesigen Kosten- und Sicherheitsaufwand ferngehalten und niedergeknüppelt. Beim Gipfel in Heiligendamm wurden auch erhebliche Behinderungen der Presse beklagt.

Wohin mit den Händen? Und wer hat die Länge der Hosenbeine kontrolliert?

Die Chefs der G7 kommen derzeit zu ihrem Gipfeltreffen in Cornwell in Großbritannien zusammen – genauer: Die Chefs und Chefinnen – dabei sind nämlich auch zwei Frauen: Angela Merkel für Deutschland und Ursula von der Leyen für die EU (die Gaststatus hat). Zum Abschluss des Treffens am heutigen 13. Juni 2021 wird eine Erklärung zum Klimaschutz erwartet. 100 Milliarden Dollar, so hört man, wollen die reichen Länder jährlich in den armen Ländern für den Klimaschutz investieren. Das klingt nach viel Geld, allerdings nicht, wenn man dieser Zahl die weltweiten Rüstungsausgaben gegenüberstellt (2020 = 1.981 Milliarden Dollar; Quelle: CIPRI). Außerdem wurden ähnliche Zusagen in der Vergangenheit nur zum Teil eingelöst. Skepsis ist also geboten.

Ähnlich kritisch muss man die Erklärungen der G7 zur globalen Verteilung der Corona-Impfstoffe bewerten: Eine Milliarde Impfstoffdosen wolle man an die ärmeren Länder spenden. Das ist eher peinlich Angesichts der Tatsache, dass die reichen Länder das Gros der auf dem Markt verfügbaren Impfstoffe für sich reserviert haben und die armen Länder deshalb das Nachsehen haben. In Südafrika zum Beispiel konnten bisher lediglich zwei Prozent der Bevölkerung mangels genügend Impfstoff geimpft werden. Die G7 sind sich zudem nicht einig in der Frage der Aussetzung der Patente auf die Impfstoffe. Deutschland ist dagegen.

Die Abschlusserklärung des G7-Gipfels steht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags noch aus. Große Überraschungen sind jedenfalls nicht zu erwarten.


Hey Papst, mach dich mal locker!

Die katholische Kirche hat ein Problem. Na ja, eigentlich mehrere. Sexueller Missbrauch und dessen Vertuschung, dubiose Finanzgeschichten, interne Machtkämpfe, durchgeknallte Kirchenführer, die fast schon wieder vergessenen Protzallüren des Franz-Peter Tebartz-van Elst – man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Wir Älteren erinnern uns, dass es auch vor fünfzig Jahren schon ordentlich geknallt hat im deutschen Katholizismus. Beim Katholikentag 1970 in Trier (meine Heimatstadt!) protestierten kritische Katholiken vor der Basilika mit einem Transparent „Mitten in der Glaubenskrise bleibt Pope Paul der weiße Riese“. Sie wurden von papsttreuen Anhängern mit Regenschirmen vom Platz geprügelt. „Pope“ ist im englischen ja die offizielle Bezeichnung des Papstes, aber auf deutsch ist es schon sehr herabsetzend, was aber durchaus gewollt war.

Heute würde der gleiche Spruch alleine vom Versmaß her nicht mehr gehen („Franziskus“!), aber inhaltlich stimmt er noch immer. Jetzt hat der Papst das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx abgelehnt. Hallo Papst: Let my people go! Da schmeißt einer das Handtuch, hat die Faxen dicke, übernimmt Verantwortung für die verrottenen Strukturen, und der Papst sagt: Nö. Mach mal schön weiter. Marx war übrigens mal Bischof in Trier, wo auch Karl Marx geboren wurde, der mit dem Kommunistischen Manifest und dem Kapital. Der Bischof Reinhard Marx hat es Karl Marx nachgemacht und auch ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das Kapital“. In dem hofft er aber, dass der von Karl Marx propagierte Niedergang des Kapitalismus nicht eintritt. Also dieser Bischof, der einige Zeit auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz DBK war und noch Erzbischof von München ist, hat dem Papst jetzt seinen Rücktritt angeboten. 

Anders im Erzbistum Köln: Da klammert sich einer ans Amt (Woelki), obwohl das Fußvolk ihm die rote Karte zeigt. Bevor so ein Bischof oder Kardinal seines Amtes enthoben wird, muss schon Einiges anbrennen. Da muss der Weihwasserkessel schon richtig glühen. Die Insignien der Macht von so einem Bischof sind die Papptüte als Kopfbedeckung (offizieller Name ist Mitra), der Bischofsstab, das Brustkreuz und der Bischofsring. Wie wäre es denn, ihr lieben Bischöfe, ihr würdet diesen ganzen Klimbim mal bei Ebay verticken und ganz einfach wie normale Menschen rumlaufen? Oder braucht ihr das für euer lächerliches Autoritäts- und Machtgehabe? Und du, lieber Papst Franziskus, hast zwar beim Amtsantritt einen auf „ich bin einer von Euch“ gemacht, aber dann war´s damit auch schon bald wieder vorbei. Wir würden dir nicht weniger vertrauen, wenn Du diese alberne weiße Soutane im Schrank hängen lassen würdest. Mach dich einfach mal locker, verzichte auf das ganze Brimborium mit „Heiliger Vater“, Ring küssen und niederknien. Und lass den Reinhard Marx ziehen. Dann wäre die Kirche zwar noch nicht reformiert, aber ein Anfang wäre immerhin gemacht.  


Hans-Georg Maaßen deckt auf: Was uns mit Annalena Baerbock wirklich droht

Während die CDU heute ihren Wahlsieg in Sachsen-Anhalt feiert, erklärt uns Hans-Georg Maaßen, für den Bundestag nominierter CDU-Rechtsaußen und unverhohlener Antisemit, die Welt. Er warnt vor einer Koalition mit den Grünen und einer „ökosozialistischen Bundesregierung“. Die Grünen „stottern unverständliches Genderdeutsch“ und wollen  den Menschen Autos, Fleisch und Einfamilienhäuser verbieten. „Das totalitäre Denken liegt den Grünen in den Genen“ so Maaßen in der rechten Wochenzeitschrift „Junge Freiheit“.

Und dann legt Maaßen in einem Tweet noch ein Brikett drauf: Annalena Baerbock heißt ja mit vollen Namen – Achtung! – Annalena Charlotte Alma Baerbock! Na, klingelts endlich? ACAB? Das ist doch die Abkürzung für „All Cops Are Bastards“! Zufall oder Chiffre? fragt Maaßen allen Ernstes. Reaktionen auf seinen Tweet lösen die Frage auf: „Ist nicht auszuschließen. Sowohl zeitlich (ACAB entstand Ende 70er), als auch Hintergrund Eltern (Anti-Atombewegung) … könnte passen.“ Ins gleiche Horn stößt ein anderer Nutzer: „Wenn man ein bisschen weiß, wie Namensgebung der Kinder in linkshedonistischen Kreisen der 70/80 ablief, kann man Zufall ausschließen.“

Hans-Georg Maaßen wird im September für die CDU in den Bundestag einziehen. Hallo CDU: Seid Ihr eigentlich noch bei Trost?  


Persönliche Anmerkungen zum Tag des Fahrrads

Heute ist der Internationale Tag des Fahrrads. Da passt es doch ganz gut, ein paar sehr persönliche Anmerkungen zum Thema Fahrradfahren zu machen. Ob ein solcher Tag die Menschheit entscheidend voranbringt, soll mal dahingestellt sein.

In meiner Nachkriegskindheit war es unüblich, Fahrradfahren zu lernen. Es gab ja auch viel zu wenig Fahrräder. Dafür diese Roller, die mit den ballondicken Reifen. Ich war etwa Acht, als ich einen solchen Roller bekam, mit Bremspedal hinten (die drei rechts auf dem Foto sind noch rollerlos, wie man am Gesichtsausdruck unschwer erkennt).

Heute blockieren die Kids, bevor sie sich ordentlich auf zwei Beinen aufrechthalten können, mit dem Laufrad die Gehwege im Schleudergang. Gleich danach kommt die Bobbycar-Phase, bei Freud war das noch die anale Phase. Nach anal kommt dann statt ödipal gleich digital. Eben „digital native“ – das erste Smartphone beim Eintritt in den Kindergarten, wegen der gestressten Eltern, die ihre Sprösslinge mit Google jederzeit orten wollen.

Aber wir wollten ja über das Fahrradfahren und dessen moralische Überlegenheit über die Fortbewegung mittels Verbrennung fossiler Rohstoffe sprechen. Einen wesentlichen Teil meines Lebens habe ich auf zwei Rädern verbracht. An der Kilometerleistung von radsporttreibenden Menschen kann ich mich nicht messen. Aber 120.000 km dürften es auch bei mir inzwischen sein. In den letzten Jahren habe ich so plus/minus 3.000 km im Jahr abgeradelt. Fast jeden Tag zum Einkaufen, zu Terminen oder einfach nur zum Vergnügen. Manches Mal auch ambitioniert, wie 2015 und 2018 von meinem Wohnort bei Freiburg über die Alpen, 600 Kilometer in fünf Tagen bis Meran. Aber genug der Angebereien. Beim Stilfser Joch war ich zwar irgendwann oben, aber dieser brutale Alpenpass hat mir meine Grenzen aufgezeigt.

Das Fahrrad als alltägliches Fortbewegungsmittel ist mir bis heute unverzichtbar. Ich habe eine Entwicklung vollzogen: Als Jugendlicher waren mir Sorge um Beleuchtung am Rad und Vorsicht gegenüber unvorsichtigen Autofahrern egal. Dagegen waren Coolness, freihändig bei roter Ampel die Kreuzung überqueren wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. Fahrradhelm? Stand damals nicht mal im Duden. Nicht immer verlief die Fortbewegung auf zwei Rädern ohne interruptive Komplikationen. Zwischen meinem ersten richtig schweren Fahrradunfall mit Fünfzehn inklusive spektakulärem Sturzflug in die Allee, Totalschaden am Rad und Freispruch vor einem Jugendrichter und dem vorläufig (?) letzten Crash liegen 57 Jahre.  Nicht bei allen Stürzen kann ich Fremdverschulden reklamieren. Der schwerste, lebensgefährliche Abgang über den Lenker mit Kopf auf den Asphalt war allein meine Schuld und hätte schlimmer enden können. Noch heute bin ich einer geschickten Chirurgin dankbar, die mein zerstörtes Gesicht in drei nächtlichen Stunden zusammennähte. Nach drei Tagen Krankenhaus durfte ich zu Ostern wieder nach Hause.  Just am Tag vor meinem letzten Geburtstag ist es wieder passiert: Eine unaufmerksame Autofahrerin in fortgeschrittenem Alter hat mich vom Rad in den Straßengraben katapultiert. Zugegeben, auch meine Aufmerksamkeit war schon mal besser. Mein Schutzengel hatte wie schon öfter in der Vergangenheit richtig viel zu tun.

Nochmal zu meinen Entwicklungsphasen: Es gab da auch eine Zeit, in der ich mich im Rückblick der Sorte „Kampfradler“ zuordnen muss. Darauf bin ich keineswegs stolz. Ständig drauf aus, die depperten Autofahrern auf ihre Regelverstöße aufmerksam zu machen. Wenn dich einer beim Rechtsabbiegen schneidet, ist der Ruf „Arschloch“ eine angemessene Reaktion. Dies umso mehr, wenn das Auto dann auch noch in meiner Begriffswelt der Kategorie „Arschlochauto“ zuzuordnen war – was ich damit meine, kann ich auf Nachfrage gerne näher erläutern. Bei Frauen pflegte ich in Ermangelung der weiblichen Form dieser Beleidigung auf „Dumme Nuss“ zurückzugreifen. Gegen die Autotür treten oder aufs Dach klopfen kamen bei mir nur in extremen Ausnahmesituationen zum Einsatz. Bei den Lieferdiensten, die grundsätzlich die Fahrradwege zuparken, schwanken meine Gefühle zwischen Hass und Solidarität – letztere wegen der miserablen Arbeitsbedingungen der Lieferdienstmenschen.

Nur ein einziges Mal wurde mir in Freiburg ein Rad geklaut. Das verdient einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde. Und nun, zum Schluss dieser sehr unausgewogenen, polemischen und angreifbaren Sicht eines Fahrradfahrers sei mir noch ein wenig Angeberei gegönnt: Ich fahre immer noch ohne Motor, nur mit eigener, wenn auch schwindender Muskelkraft. Die letzten vier Tage rund 400 km an der Donau, von Ulm bis Passau. Kein nennenswerter Anstieg, aber die ganze Strecke mit fucking Gegenwind. Heute rechtzeitig zum Tag des Fahrrads zurück, um diesen Blogbeitrag zu schreiben und die Beinmuskulatur zu lockern.