Silvester ohne Böller

Dieses Jahr ist alles anders: Wir dürfen nach 20 Uhr nicht mehr vors Haus. Keine Pyrotechnik bei Aldi, Lidl oder Penny. Neben den üblichen Angeboten wie der Feuerwerksbatterie „Remmidemmi“ oder dem großen Verbundfeuerwerk „Kracherblitz“ wären die Spezialeditionen „Beirut – Der große Wumms“ und „Moria in Flammen“ sicher Verkaufsschlager geworden. Jetzt müssen sie im Lager bleiben. Wer sich rechtzeitig mit Feuerwerk bewaffnet hat, darf zumindest den eigenen Garten oder Balkon als Raketenabschussrampe nutzen. Alle anderen mögen sich stattdessen an einem brillanten Feuerwerk der bösen Satire ergötzen, nämlich der musikalischen Monatsrevue von Lars Reichow auf SWR2 – besonders zu empfehlen ab ca. Minute 42 Reichows Revue der zehn dümmsten, dreistesten und gefährlichsten Verlierer des Jahres („in der Reihenfolge ihrer Blödheit“), von Alexander Gauland („ein gescheiterter Politbeamter mit Wehrmachtsphantasien, der davon träumt, die deutschen Parlamente mit Vollidioten und Proleten zu fluten“), Jaroslaw Kaczynski („ein völlig kaputter, in sich verkrachter, autoritärer Greis und Teufelsaustreiber“) über Bolsonaro („kriminell korrupter skrupelloser Klimawandelleugner, charakterlich unbeherrscht und psychisch krank“), Boris Johnson („Tanzbär des Establishments“), Lukaschenko („der seinen Diktatorabschluss offenbar auf der Hauptschule gemacht hat, verkriecht sich bei Putin unter der Oligarchenheizdecke“), bis Erdogan („türkischer Stinkstiefel“), Trump und Xi Jinping. Leider werden wir die genannten Figuren wohl auch im neuen Jahr ertragen müssen, außer Trump, dem Reichow als einziges Talent zugesteht, „seine Visage in einen UV-Strahler zu halten“. 


2021: Alles wird gut?

„Alles wird gut“ – eine gewagte, eine naive, eine utopische Prognose? Natürlich wird nicht alles gut. Man stelle sich nur vor, wenn es doch so käme: Meine Gliederschmerzen – wie weg. Der Bürgerkrieg in Syrien – alle Kriegsparteien legen die Waffen nieder und schließen Frieden. Nie mehr Kindesmissbrauch hier und anderswo. Die Erderwärmung kommt zum Stillstand. Auch die armen Länder bekommen genügend Impfstoff. Helene Fischer bekommt öffentliches Singverbot. Die Todesstrafe wird weltweit abgeschafft. Die Deutsche Bank macht keine kriminellen Geldwäschegeschäfte mehr. Ferkel werden nur noch mit Betäubung kastriert oder am besten gar nicht mehr. Israel und Palästina schließen Frieden und einigen sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung. Die LSBTTIQ-Community bekommt ein eigenes Ministerium. US-Polizisten erschießen keine Schwarzen mehr. Der Hund kotzt nicht mehr auf den Teppich. AFD und Bündnis 90/Die Grünen fusionieren zur neuen FUP (Friedens- und Umweltpartei). Eckart von Hirschhausen wird Bundeskanzler. COVID-19 mutiert zu einem harmlosen Grippevirus. Meine Enkeltochter bekommt den heißbegehrten Studienplatz in Wien, ich selbst den Friedensnobelpreis, optional auch den alternativen Friedensnobelpreis. Donald Trump kommt zu Verstand.

Diese Aufzählung ist nur eine persönliche, unvollständige Auswahl. Sie darf von den Leser*innen dieses Blogs gerne im Herzen oder per Kommentar ergänzt werden. Wünschen kann man sich alles. Auch, dass alles gut wird. Aber: Wie bitte soll das gehen? Wer soll am großen Rad drehen und alles gut werden lassen? Wie wär´s mit etwas mehr Realismus und Bescheidenheit und einem „Manches wird gut“? Schließlich könnte es ja auch noch schlimmer kommen – „Alles wird schlechter“. Zum Beispiel: Der Friedensnobelpreis 2021 geht an Donald Trump. Der Hund wird inkontinent. Die AFD gewinnt die Bundestagswahlen, Björn Höcke wird Bundeskanzler. Es wird eine allgemeine Aluhelmpflicht eingeführt. Meine Gliederschmerzen werden schlimmer. Die deutsche Fußballnationalmannschaft verliert gegen die Färöer-Inseln 10:0. Helene Fischer moderiert die Tagesthemen. Klopapier wird rationiert. Daimler, VW, BMW und Porsche fusionieren zu einem Megakonzern unter der Führung von Andreas Scheuer. Es werden noch mehr Porsche Cayenne verkauft. Strom, Benzin, Fleisch und Flugreisen werden teurer. Aber egal. Wir essen mehr Fleisch, fliegen wieder in den Urlaub auf die Malediven und die Aktienkurse steigen. COVID-19 wird vom Menschen auf Microsoft übertragen. Alles wird schlechter.

Also jetzt mal im Ernst: Nicht alles wird plötzlich gut werden. Ob manches gut wird, oder zumindest ein bisschen besser, das liegt nicht nur, aber auch in unserer Hand. Jede/r von uns kann dazu beitragen, dass manches etwas besser wird. Daher schließt dieser Blogbeitrag mit einem optimistischen Blick in das vor uns liegende Jahr. Alles wird gut – dahinter verbirgt sich wohl vor allem der Wunsch, die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Gefährdungen und Einschränkungen unseres Lebens mögen bald vorbei sein. Darauf darf man hoffen, auch wenn es keine Gewissheit gibt. Dann wäre alles andere, was in dieser Welt nicht gut ist, aber weiterhin nicht gut. „Nichts ist gut in Afghanistan“ – mit dieser Feststellung hatte Margot Käsmann in ihrer Neujahrspredigt 2010 einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. „Nichts ist gut“ und „Alles wird gut“ sind in ihrer Absolutheit Zuspitzungen, die weder die Gegenwart noch die Zukunft zutreffend beschreiben.

Dennoch: Eine utopische Haltung im Sinne von „Alles wird gut“ kann ja nicht schaden. Dafür hat auch Adorno plädiert: „Empfindsam bleiben ist eine gleichsam utopische Haltung, die Sinne für ein Glück geschärft zu halten, das nicht kommen wird, jedoch uns in Bereitschaft für es vor den ärgsten Verrohungen schützt“. Gerade in den düstersten Zeiten auf das „Alles wird gut“ zu hoffen ist also nicht naiv. Worauf sonst soll man denn hoffen?   

Am 19.12.1944 schrieb Dietrich Bonhoeffer aus der Haft in der Prinz-Albert-Straße in Berlin, wenige Monate vor seiner Hinrichtung durch das NS-Regime, an seine Braut Maria von Wedemeyer „ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“. Und dann folgen diese tröstlichen Zeilen von den guten Mächten, von denen wir wunderbar geborgen sind und wir getrost erwarten dürfen, was kommen mag.

Erwarten wir also für 2021 getrost, was kommen mag – auch wenn nicht alles gut werden wird.


Impfstoff für Alle – oder doch nicht?

„Der Corona-Impfstoff muss ein globales öffentliches Gut und für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein“ – das forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres heute im Deutschen Bundestag und fand dafür großen Applaus.

Realität ist: Die EU und die großen Industrienationen haben fast die gesamte Produktion an Impfdosen bis Ende 2021 für sich selbst reserviert. Die Firmen Biontech und Pfizer wollen im kommenden Jahr 1,3 Milliarden Dosen ausliefern. Davon ist fast die Hälfte bereits durch Lieferverträge mit der EU, den USA, Japan, Australien, Großbritannien, Kanada vergeben. Die genannten Länder haben zusätzlich Optionen für 600 Millionen Dosen angemeldet. Da bleibt also für die armen Länder nicht mehr viel übrig.

Guterres hat in seiner Rede auch auf die globale COVAX-Initiative unter der Federführung der WHO hingewiesen. Diese Initiative soll sicherstellen, dass der Corona-Impfstoff weltweit gerecht verteilt wird. Zudem müsste ein Weg gefunden werden, dass die armen Länder den Impfstoff zu einem erschwinglichen Preis bekommen können. Die armen Länder werden die 34 Euro, die die Impfung pro Person kostet, nicht aufbringen können. Deshalb lautet eine Forderung, den Patentschutz für die Impfstoffe aufzuheben.

Das fordert auch Oliver Müller, Leiter von Caritas international in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk.


Von Kampfdrohnen, Kolateralschäden und nicht existierenden Schattenarmeen

Kampfdrohnen, Kolateralschäden und Schattenarmeen – wie das alles zusammenhängt? Das soll hier aufgezeigt werden, getreu dem „Günter-Öttinger-Axiom“ (Everything hangs together).

Aber schön der Reihe nach. Diese Woche konnten wir erfahren, dass die Geheimdienst-Kontrolleure des Bundestages keine Beweise für die Existenz einer Schattenarmee, die einen politischen Umsturz plane, in der Bundeswehr gefunden haben. Wirklich beruhigen kann diese Nachricht nicht. Offenbar ist die Existenz einer solchen Schattenarmee nicht grundsätzlich unvorstellbar. Beweise für die Existenz eines Schwarzen Loches wurden auch erst kürzlich gefunden. Ja gut, der Vergleich ist blöd, denn ein Schwarzes Loch schluckt sämtliche Energie, was man von einer potenziellen Schattenarmee nicht erwarten dürfte. Es ist ja nicht so, als gäbe es in der Bundeswehr keine rechtsextremen Strömungen. Und sind nicht auch größere Mengen an Waffen und Munition aus den Depots der Bundeswehr spurlos verschwunden?

Waffen und Kriegsgerät kann man ja bei Bedarf auch neu kaufen. Aktuell geht es um die Beschaffung von bewaffneten Kampfdrohnen. Damit können Gegner zielgenau und schnell ausgeschaltet werden (das hört sich freundlicher an als töten, aber darum geht es). Risikoloses Töten quasi vom Schreibtisch aus, im home office. „Gezielte Tötungen durch Drohnen stellen illegale Hinrichtungen dar“ – so heißt es in einer Beilage der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e. V., in Zusammenarbeit mit der pax christi-Kommission Friedenspolitik.

Die Befürworter in der Regierung und im Parlament sehen das anders. Für sie sind die Drohnen eine Art „fliegende Lebensversicherung“ für deutsche Soldaten. Angeblich, so wird argumentiert, sollen sie auch die Zivilbevölkerung besser schützen – siehe Kunduz im übernächsten Absatz.

Die SPD, die eigentlich mal für die bewaffneten Drohnen war, hat nun Skrupel bekommen und verweigert ihre Zustimmung im Bundestag. Mein persönlicher Kompromissvorschlag: Drohnen gibt es auch im Online-Versandhandel zu kaufen, sogar sehr viel günstiger als die Dinger von den Israelis. Bei Amazon kann man das Modell Airwars für schlappe 141,96 € kaufen – „direkt nach dem Auspacken bereit zur Schlacht“. Das dürfte doch auch im Bundestag mehrheitsfähig sein.

Und das tollste: Mit dem eingesparten Geld könnten dann die zivilen Opfer des Luftangriffs vom September 2009 bei Kunduz/ Afghanistan angemessen entschädigt werden. Damals kamen bis zu 100 Zivilisten bei einem von der Bundeswehr verantworteten Luftangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge ums Leben. Kolateralschäden nennt man sowas. Auch damals schon wurden Drohnen eingesetzt, allerdings nur zur Beobachtung. Die Angehörigen der Opfer haben auf Entschädigung durch die Bundesrepublik geklagt und nun, wie man heute hört, vor dem Bundesverfassungsgericht verloren.


Schreib mal wieder

Von der Kunst, die richtige Anrede- und Grußformel in Briefen zu finden

Wie wär´s mal wieder mit Briefeschreiben? So richtig mit Stift und Papier, Umschlag drum, abgeschleckt, zugeklebt, Briefmarke drauf und ab geht die Post? „Schreib mal wieder“ – war vor Jahren mal ein Werbeslogan der Post, und heute findet man diesen Ratschlag unter den vielen Tipps gegen die Corona-Fatigue. Ja warum auch nicht. Aber wie war das noch mal?

Früher war nicht alles besser, aber es gab wenigstens genaue Vorgaben für die korrekte Anrede- und Grußformel im Brief, je nachdem, mit wem man es zu tun hatte und ob es sich um ein offizielles Schreiben oder einen persönlichen Brief handelte. Von Liebesbriefen mal ganz abgesehen. Heute, wo kaum noch Briefe geschrieben werden und Emails verbreitetes Kommunikationsmittel sind, nimmt man das mit der Anrede und der Grußformel lockerer. Trotzdem: Ich bin immer noch irritiert, wenn eine an mich gerichtete Mail einer wildfremden Person beginnt mit „Hallo“ oder „Guten Morgen“. Am Ende steht dann ein vertrauliches „Liebe Grüße“ oder gar nur „LG“. Ich bin dann versucht zu antworten: „Sehr geehrte Frau sowieso: Ich kann mich nicht erinnern, mit Ihnen schon mal die Schweine gehütet zu haben. Mit vorzüglicher Hochachtung“. Tue ich natürlich nicht, denn es würde mich entlarven als hoffnungslos antiquierten, aus der Zeit gefallenen, uncoolen Trottel. Als ich – vor gefühlten hundert Jahren – meine freudlosen Lehrjahre auf dem Amt verbrachte, wurde uns unter anderen lebensnützlichen Dingen auch die korrekte Anrede und Grußformel in behördlichen Briefen beigebracht. „Sehr geehrte Frau Schnickdohle, sehr geehrter Herr Rübenkopf“. War die Frau unverheiratet, musste man sogar „Sehr geehrtes Fräulein Süßholz“ schreiben. Noch in den neunziger Jahren erhielt ich einen empörten Brief an meinen damaligen Arbeitgeber auf den Tisch: „Betreff: Meine Anrede: Mich mit Frau zu betitteln (kein Druckfehler, J.L.) ist eine Lüge, da ich noch ledig bin…“ So war es lange, und damals gab es auch noch kein drittes Geschlecht – das macht die Sache heute sowieso extrem schwierig.

Man kann also bei der Anrede im Brief viel falsch machen. Zum Beispiel bei Angehörigen des Hochadels oder des Klerus. Das immer noch im Gebrauch befindliche, wenn auch leicht angestaubte „Hochwürden“ für einen Pfarrer gerät zunehmend aus der Mode und ist angesichts der Missbrauchsskandale wohl auch nicht in jedem Fall passend. Beim Oberhaupt der Katholiken geht „Hallo Papst“ und „Liebe Grüße“ natürlich nicht. Mit „Heiliger Vater“ ist man auf der sicheren Seite. Einen Kardinal redet man mit „Euer Eminenz“ oder „Herr Kardinal“ an, Bischöfe mit „Euer Exzellenz“. Botschafter sind übrigens auch Exzellenzen, selbst wenn sie ein kriminelles Terrorregime repräsentieren.

Anredungsmäßig richtig heikel wird es beim Hochadel. „Euer Hochwohlgeboren“ kann man heute nicht mehr bringen. Bei „Durchlaucht“ fragen sich Menschen, die nicht regelmäßig das Goldene Blatt lesen, welches Gemüse da wohl Pate gestanden hat? Und wer kennt noch die Abkürzung „S.K.H. = Seine Königliche Hoheit“? Auf diese Anrede für seinen Protektor Prinz Bernhard von Baden möchte der Bund Heimat und Volksleben auch heute, mehr als hundert Jahre nach der Abschaffung der Monarchie, nicht verzichten, und dem Prinz scheint es zu gefallen. „Darf ich es wagen, Eurer Majestät zu Allerhöchst-Deren Geburtsfeste mit untertänigstem Glückwunsche … mich zu nähern?“ – so Cosima v. Bülow 1865 in einem Brief an König Ludwig II. zu dessen 20. Geburtstag. Du meine Güte! Meine persönliche Erinnerung reicht nicht ganz so weit zurück, aber ich hatte noch Briefe in Händen, die mit Floskeln endeten wie: „Ihrer geschätzten Antwort untertänigst entgegensehend, verbleibe ich als Ihr ergebener Speichellecker“.

Das früher gängige „Hochachtungsvoll“ hat inzwischen dem weniger heuchlerischen „Mit freundlichen Grüßen“ Platz gemacht. Beim Umgang mit Freunden und Bekannten darf man auch schreiben: „Herzliche Grüße“, „Viele Grüße“ oder „Schöne Grüße“. „Liebe Grüße“ am Briefende geht eigentlich nur bei sehr vertrauten Personen – meine ich. Was man der/dem Allerliebsten am Ende entgegensülzen möchte, gehört nicht hierher. Und wem das alles zu kompliziert oder zu blöd ist, der oder die soll halt bei den lockeren Grußfloskeln „Hi, Hallo, Guten Morgen“ und „Liebe Grüße“ bleiben. Meinetwegen. Aber bitte in Konrad Dudens Namen wenigstens die Grundregeln der Grammatik und Rechtschreibung beachten und die Kommata nicht wie mit dem Salzstreuer gleichmäßig über den Text verteilen. Merke: „Wir essen jetzt Opa“ – Satzzeichen können Leben retten. „Was willst du schon wieder“ und „Was, willst du schon wieder“ macht halt eben einen feinen Unterschied.